Mr. Lamb

von | 27.03.2014 | Belletristik, Buchpranger

„Mr. Lamb“ ist Bonnie Nadzams erster Roman, von der Presse hochgelobt und 2011 mit dem Flaherty Dunnan First Novel Prize ausgezeichnet. Tatsächlich hebt sich der Roman von anderen ab, denn er thematisiert die Beziehung zwischen einem älteren Mann und einem 11-jährigen Mädchen auf eine so undefinierbare Weise, dass das Einschätzen der beschriebenen Situationen unmöglich ist. – Von Zeichensetzerin Alexa

Mr. Lamb ist ein einsamer Mann, 54 Jahre alt und unzufrieden mit seinem Leben. Was hat er denn schon erreicht? Was ist der Sinn seines Lebens? Als er dem Mädchen Tommie begegnet, das gerade von älteren Mädchen schikaniert wird, fasst er den Entschluss ihm zu helfen. Denn wie sich bald rausstellt, ist Tommie ebenso unglücklich wie Lamb. Während ihre Eltern sich zu Hause streiten, verbringt sie ihre Zeit mit falschen Freundinnen, die stets Mutproben von ihr verlangen, sie auslachen und ausnutzen. In der Schule läuft es auch nicht so gut und oftmals schwänzt Tommie oder gibt vor, krank zu sein, um nicht hingehen zu müssen.

Lamb sieht plötzlich einen Sinn in seinem Leben: er will Tommie unbedingt helfen, ihr das Leben zeigen, sie darauf vorbereiten. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg in die Rocky Mountains, um die Welt zu sehen, etwas Abstand zu gewinnen und Tommies Eltern und Freunden „ein wenig Angst einzujagen“. Denn wenn sie merken, dass sie verschwunden ist, würden sie begreifen wie wichtig sie ihnen doch ist!

Tommie stimmt Lamb zu, vor allem, weil sie ihm vertraut und glaubt, er würde sie jederzeit wieder zurückbringen. Immer wieder betont er, sie könnten sofort umkehren, sie müsse es nur sagen! Er wolle nur das Beste für sie. Was an dieser Stelle so schön und glaubwürdig klingt, wird im Laufe des Buches immer merkwürdiger. Denn immer wieder meint Tommie, sie wolle nun wirklich wieder nach Hause und bekommt von Lamb Moralpredigten zu hören. Dialoge entstehen, die sich so verdrehen und wenden, dass man nicht einmal als Leser weiß, welche Absichten Lamb nun wirklich verfolgt. Am Ende bringt er Tommie jedenfalls immer dazu, von sich aus zu sagen, dass sie doch weiterfahren will.

„Wir müssen uns mehr anstrengen, wenn wir etwas über die Welt um uns herum erfahren wollen.“
„Hör auf damit, das macht Jessie immer.“
„Was macht er?“
„Sagt wir, wenn er mich meint.“
(S. 68/69)

Spätestens jetzt kommt einem beim Lesen ein seltsames, falsches Gefühl auf. Der Gedanke an Manipulation kommt einem nicht mehr aus dem Kopf. Die Gefühlsschwankungen des Mädchens bekräftigen diesen Gedanken zusätzlich. Erst will sie nach Hause, aber nach dem Gespräch mit Lamb wieder nicht… und stets versucht er ihr eine Meinung, eine Einstellung, aufzudrängen, aber auf eine so vorsichtige, leichte Art, dass man das kaum zu durchschauen vermag. Und plötzlich kommen die beiden sich immer näher, beginnen füreinander mehr zu empfinden als Freundschaft. Auch körperliche Nähe kommt ins Spiel und man fragt sich, wie weit Lamb gehen würde… und wie echt Tommies Gefühle sind. Lässt sie diese Nähe zu, weil sie es will oder weil sie glaubt, dass sie es will?

„Hör mal, Liebes. Es ist von größter Bedeutung für unsere Freundschaft – und für mich -, dass ich mir nicht wie jemand vorkomme, der dich herumkommandiert. Verstehst du?“ (S. 97)

Dieses Buch ist unberechenbar, die Protagonisten undurchschaubar, mit Dialogen, die sich wiederholen und wie eine Gehirnwäsche klingen. Ein alter Mann und ein kleines Mädchen – wie urteilt man darüber, wenn wahre Gefühle im Spiel sind? Und wie schützt man Kinder vor Manipulation? Wie bereitet man sie auf solche Situationen vor? Man findet, auch nach dem Durchlesen dieses Buches, keine Antwort darauf. Am Ende bleiben nur ein schlechter Beigeschmack, Verwirrung und Sprachlosigkeit.

Mr. Lamb. Bonnie Nadzam. dtv. 2014.

 

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