Lisa Eckhart

von | 04.10.2015 | Auditorium, Im Interview, Stadtgespräch

„Alles, was mit Worten zusammenhängt, empfinde ich als die schwerste Kunstform, da es keinen hermetischen Bereich gibt wie z.B. bei der Musik.“

Der Zufall brachte Lisa Eckhart zum Poetry Slam. Mittlerweile ist die 22-Jährige nicht mehr aus der Szene wegzudenken. In Österreich geboren, lebt und arbeitet sie jetzt in Berlin. Bücherstädterin Janine Dauer hat mit ihr über ihre Texte und ihre neuen Projekte gesprochen.

BK: Wie lange lebst du schon in Berlin?

LE: Seit ungefähr einem Jahr. Ich habe in Frankreich studiert und bin für das letzte Semester nach Deutschland gekommen und da hängen geblieben. So bin ich auch zum Poetry Slam gekommen.

BK: Das wäre jetzt die nächste Frage gewesen…

LE: Ich hatte gerade fertig studiert und war bei meinem Cousin zu Besuch. Der fragte mich nebenbei, ob ich das kenne. Da habe ich mir gedacht, ich schreibe mal einen Text und probiere es aus. Es hat sich herauskristallisiert, dass das genau das Richtige für mich ist. Ich kann überhaupt nicht einschätzen, wie sehr die Masse Poetry Slam kennt. Mir war es überhaupt nicht bekannt. Es hat ungefähr zwei Monate gedauert bis es Früchte getragen hat. Ich fand es schön, vor allem nachdem ich gerade den Schauspielschulen-Wahnsinn hinter mir hatte. Das hatte ich nach dem Studium probiert und natürlich hat mich keine von denen angenommen. Das war auch absolut verständlich, das kann ich jetzt einsehen. Darüber bin ich im Nachhinein sehr dankbar. Beim Poetry Slam kann ich mein eigenes Theater bringen und das auch noch mit eigenen Texten und muss nicht irgendwie den Schiller interpretieren. Das ist für mich ideal.

BK: Wie findest du die Themen für deine Texte?

LE: Ich glaube, wir haben alle ein beschränktes Themenarsenal, es ist eigentlich nur die Frage der Herangehensweise. Ich habe nicht den Musenkuss; ich setze mich hin und starre so lange auf den Bildschirm bis etwas dabei rauskommt. Wenn man das beharrlich genug macht, funktioniert es meistens.

BK: Das heißt, du setzt dich gezielt hin zum Schreiben?

LE: Ja, allerdings muss die Idee dann irgendwie auch schon da sein. Ich verwerfe selten etwas. Ich kannte auch nie dieses ‚Ich schreibe für mich‘. Das gibt mir nichts. Wenn ich schreibe, dann wird der Text vorgetragen, dann muss der passen. Der muss auch innerhalb eines Tages fertig werden, weil ich mich nicht zwei Mal dafür hinsetze. Da fehlt es mir an Geduld. Es ist immer die große Liebe bei einem Text, aber die ist halt auch sehr kurz. (lacht)

BK: Die große kurze Liebe…

LE: Sie verfliegt dann auch schnell wieder. So sehr ich den Text nachher noch liebe, aber für das Schreiben kann ich mich immer nur kurz begeistern.

BK: Erwacht die Liebe wieder, wenn du auf der Bühne stehst und den Text vorträgst?

LE: Die Liebe ist dann absolut da und wird auch stärker. Ich merke: ab dem fünften, sechsten Mal wird er wirklich gut. Wenn keine Angst mehr da ist. Ich lerne meine Texte ja auswendig für die Bühne. Bei den ersten Malen ist noch die Furcht da, etwas zu vergessen, und dann kann man sich nicht aufs Spielen konzentrieren. Wenn es halbwegs mechanisch abläuft, kann man sich auf andere Dinge einlassen, dann wird es schön und angenehm.

BK: Wie oft trägst du ein und denselben Text vor?

LE: Ich benutze einen Text mehrmals. Ich mache das seit Juli. Früher war der Idealismus größer, da war der Anspruch da, für jeden Slam einen neuen Text zu schreiben. Das ist absurd. Oft hat man auch Goldstücke und das wäre völlig irrsinnig, die nicht irgendwann nochmal zu verwenden. Aber ich muss auch bei einigen Texten Pausen einlegen. Die, die ich am meisten gemacht habe, machen mich auch schon krank. Die Texte, die man am meisten macht, funktionieren halt auch am besten. Man ist immer zwischen Gier nach Anerkennung, nach Gefallen, aber irgendwann wird es suspekt und man sagt sich: so gut kann der Text nicht sein, dass er allen gefällt. Das will man dann auch nicht, da ist man doch sehr gespalten.

BK: Suchst du dann eine neue Herausforderung in einem neuen Text?

LE: Das schon. Ich mache auch gerne verschiedene Dinge, z.B. wahnsinnig gerne lustige Texte. Aber dann auch gerne Texte, bei denen ich überhaupt nicht den Anspruch an mich stelle – und das ist dann wieder sehr befriedigend – so einen Text zu machen. Ernste Texte kommen nicht so gut an, zumindest nicht so gut wie im Vergleich zu den lustigen. Ich denke aber, dass das allgemein so ist. Vor allem beim Poetry Slam muss ein Text schnell wirken und Humor wirkt schneller. Die Abwechslung ist schon schön beizeiten. Obwohl die Leute gerne das gleiche hören. Am besten genau das Gleiche, nur etwas abgewandelt. Aber das ist das Schöne beim Poetry Slam. Es gibt meistens zwei Runden und dadurch, dass das viele machen, wird das Publikum gut gefüttert. Und im Finale mach ich dann das, was ich will.

BK: Wie wichtig ist dir die Inszenierung? Die Selbstinszenierung als auch die Inszenierung des Textes?

LE: Inszenierung ist extrem wichtig für mich. Poetry Slam ist eine Bühnenkunst, es gehört zur Literatur. Ich finde es so schade, wenn der Bühne kein Wert zukommt. In einigen Fällen gibt es Texte, die sind grandios, aber ich denke mir, er gewinnt leider nicht durch die Präsenz des Autors auf der Bühne. Das finde ich sehr schade. Dennoch kommen die Texte gut an, sie sind ja auch qualitativ hochwertig. Es macht für mich auch einen Unterschied, ob ich einen Text schreibe, der gedruckt erscheinen soll oder der auf der Bühne vorgetragen werden soll. Ich würde meine Poetry Slam Texte nicht als Buch binden lassen, weil sie dann sterben. Das interessiert keinen Menschen. Aber da spreche ich nur für mich selbst. Lyrik zu lesen ist nichts für mich. Vielleicht für ein Gedicht und dann muss ich es laut vorlesen und irgendwie selbst inszenieren. Das Schreiben ist schon sehr schön, aber wirklich leben tu ich auf der Bühne. Man spiegelt sich im Publikum und abseits der Bühne ist man wieder unter sich, ob der eigenen Existenz. Eine Pause ist auch mal ganz schön, aber nach einer Woche werde ich unruhig.

BK: Wie lange brauchst du für einen Text?

LE: So etwa 10 Stunden. Am besten am Stück geschrieben. Zwei Tage hintereinander, das geht noch, aber am dritten Tag verlässt mich der Wille an dem Text zu arbeiten. Wenn er nicht raus will, dann ist der schlecht und das Ganze hat keinen Sinn und dann fühl ich es nicht mehr.

BK: Was bedeutet Literatur für dich?

LE: Das ist sehr, sehr schwierig zu beantworten. Alles, was mit Worten zusammenhängt, empfinde ich als die schwerste Kunstform, da es keinen hermetischen Bereich gibt wie z.B. bei der Musik. Die Bausubstanz, mit der wir arbeiten, ist ein Allgemeingut. Es ist schwierig zu beschreiben. Es ist wie abgestandenes Badewasser, aus dem wir noch was filtern sollen. Das ist nicht einfach, denn wenn du mit Worten umgehst, dann hat jeder die Tendenz zu sagen „Das kann ich auch“. In einem gewissen Grad stimmt das auch. In die eine wie in die andere Richtung: Einige bezeichnen es als kunstvoll, wo ich keine Kunst sehe. Andere benutzen Worte unbewusst wie Kunst und sehen es selbst nicht. Wo da genau die Trennung ist, kann ich nicht sagen. Vielleicht ist es auch die Eigendefinition.

BK: Gibt es Vorbilder oder Künstler, die dich beeinflussen?

LE: Ja, obwohl ich ungern lese. Ich habe nie gerne gelesen. Es gibt ja Menschen, die Bücher verschlingen, aber ich schaffe es nicht in diesen Modus. Aber ich habe sehr viel gelesen, weil ich lange dachte, so lange ich nicht alles gelesen habe, darf ich nicht schreiben. Aber letztlich beeinflusst, würde ich sagen, haben mich zwei: Jelinek und Faust. Also, das sind die zwei großen, von denen ich zehre. Die Russen bewundere ich sehr, z.B. Gogol. Also vor allem, wenn es ins Absurde geht.

BK: Arbeitest du derzeit an einem eigenen Buchprojekt?

LE: Eigentlich sogar an zwei Büchern. Aber das eine befindet sich erst mal in der Schublade. Das Buch muss noch schlafen, weil das kein Verlag ohne eigene Fan-Base abnehmen würde. Allerdings habe ich auf der Leipziger Buchmesse an einem Poetry Slam teilgenommen, bei dem ich eine Buchveröffentlichung bei einem kleinen Verlag gewonnen habe. Und da arbeite ich gerade an meinem zweiten Projekt, einer Satire des Kriminalromans. Ich selbst beachte das Genre nicht sehr, es ist für mich eher lustig darüber zu schreiben. Ich versuche auszumachen, was das Faszinierende an diesem Genre ist. Es ist nicht nachvollziehbar, aber ich versuche es. Im September soll es voraussichtlich fertig sein und nächstes Jahr auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt werden. Ich finde es auch mal entspannend, nicht für die Bühne zu schreiben. Es ist ganz anders. Man kann sich ein bisschen mehr Zeit lassen und muss nicht ständig eine Pointe bringen.

BK: Du wurdest angekündigt als „experimentelle Züchtung der österreichischen Alpen“. Siehst du das auch so?

LE: Ich habe es sogar selbst geschrieben! Wir schreiben unsere PR-Texte selbst. Das ist höchst fahrlässig. (lacht) Mir begegnen wenige österreichische Slammer. Ich bin keine Patriotin, aber ich hänge sehr am Dialekt. Texte, die ich in Österreich bringe, mach ich immer mit reinem Dialekt. Da bekomme ich auch langsam Probleme, weil ich sie in Deutschland nicht bringen kann. Aber das genieße ich dann schon immer sehr. Und die „experimentelle Züchtung“, ja, das klingt einfach nur exzentrisch, das hat keinen tieferen Grund.

BK: Willst du mit deinen Texten andere beeinflussen?

LE: Ich glaube nicht, etwas zu verändern, aber man muss sich ja irgendwie beschäftigen. Ich glaube, man beeinflusst niemanden, der nicht eh schon in diese Richtung tendierte. Irgendwo ist schon die Hoffnung auf Besserung, aber Veränderung? Irgendwie ist es auch viel narzisstische Befriedigung. Wenn ich auf der Bühne bin, dann habe ich erst den Eindruck zu sein. Es wäre völlig abstrus zu behaupten, dass es eine uneigennützige Geschichte wäre. Zwar ist es wichtig, dass es einen gesellschaftskritischen Inhalt gibt. Es ist aber auch schön, mal losgelöst davon etwas zu schreiben, etwas Abstruses zu schreiben. Aber ein bisschen Inhalt sollte schon sein. Letztlich kann niemand, der gesellschaftskritisch schreibt, auf Verbesserung hoffen, weil er sonst arbeitslos wird; also das macht keiner. (lacht) Dann würde ich mich eher über das Gegenteil beschweren. Wenn man sein Dasein auf Kritik aufbaut, muss man immer einen Krisenherd haben, sonst würde man eh zu Staub zerfallen.

BK: Abschließend noch eine Frage, die wir allen stellen. Wenn du ein Buch wärst, welches wärst du?

LE: (überlegt etwas) Das ist sehr schwierig. Es dürfte keine zu große Selbstreflektivität besitzen, dürfte irgendwo einer gewissen Absurdität nicht entbehren. Eins, das sich beizeiten wichtiger nimmt als es ist. Eventuell sogar der Kafka. Es fasziniert mich, dass ihm eine Ernsthaftigkeit angedichtet wird, die überhaupt nicht bestand. Kafka als Antwort auf diese Frage klingt sehr anmaßend. Aber ich denke immer an die Tatsache, dass Kafka, wenn er seine Texte vorgelesen hat, selbst wahnsinnig gelacht hat und nicht glauben konnte, dass die Leute das nicht lustig finden. Unter der Prämisse, dass er das alles nicht so ernst genommen hat, tendiere ich zu Kafka.

Dieses Interview erschien erstmals in der Uni-Special-Ausgabe des Bücherstadt Kuriers.
Foto: Frank Nordmann

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