Lesung mit Clemens Meyer und Roman Ehrlich

von | 28.01.2014 | Buchpranger

„Das Schöne an Literatur ist ja, dass Sie die Leser gar nicht daran hindern können, beim Lesen an Leipzig zu denken.“ (Lothar Müller)

Am 26.01.14 lasen in der „Glocke“ in Bremen die Preisträger des 60. Literaturpreises Clemens Meyer („Im Stein“) und Roman Ehrlich („Das kalte Jahr“) aus ihren neuen Werken vor. Die Moderation führte Literaturkritiker Dr. Lothar Müller (Süddeutsche Zeitung), der auch Vorsitzender der Jury des Bremer Literaturpreises 2014 war. – Von Zeichensetzerin Alexa

Als die Autoren den vollen Saal in der „Glocke“ betreten, ist die Spannung förmlich zu spüren. Die vielen Menschen, die sich an diesem Sonntagabend die Zeit genommen haben, begrüßen sie mit kräftigem Applaus. Die Neugier auf das, was kommen mag, ist groß – welchen Charakter haben diese Autoren? Wie verhalten sie sich? Was haben sie zu erzählen? Während Dr. Lothar Müller die beiden vorstellt, ist der Blick Meyers gesenkt, Ehrlich ist für die auf der linken Seite sitzenden Zuschauer, hinter einem Pult verschwunden. Es wirkt, als rede Müller mit den Zuschauern, obwohl die Fragen an Meyer und Ehrlich gerichtet sind. Manchmal scheint es, als langweile Meyer sich. Eine direkte Frage lässt ihn kurz aufschauen, er schweigt aber weiterhin, deutet nur mit einer kleinen Geste zu Ehrlich, als solle dieser mit dem Antworten beginnen. Einige Zuschauer runzeln scheinbar verwirrt die Stirn, andere lachen.

Clemens Meyer gehört wohl zu den bekanntesten Autoren Deutschlands. Er erhielt bereits viele Auszeichnungen, sein Roman „Im Stein“ war auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises – nun wurde er mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet. Den Förderpreis des Literaturpreises Bremen erhielt Roman Ehrlich für seinen Roman „Das kalte Jahr“. Zwei ungewöhnliche Autoren, mit einem sehr unterschiedlichen Lebenslauf, aber einer Gemeinsamkeit: beide haben im Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert. Und an dieser Gemeinsamkeit knüpft Lothar Müller an, indem er fragt: „Was ist Literatur? Kann man Literatur überhaupt studieren?“ Da in Ehrlichs Roman auch Bilder auftauchen, kommt die Frage auf, inwiefern Bilder mit Literatur zu tun haben. Sind Bilder nicht auch eine Art von Literatur? Ehrlich bestätigt diesen Gedanken, denn auch Bilder erzählen auf ihre Weise Geschichten. Meyer betont, dass mit dem Alter die Erfahrung kommt und der Text eines 21 Jährigen nicht vergleichbar wäre mit dem eines 40 Jährigen. Im Studium würde man lernen, den eigenen individuellen Stil zu verbessern, mit sprachlichen Mitteln zu arbeiten.

Der Stil Meyers ist tatsächlich nicht alltäglich. In seinem Roman springt er Stellenweise zwischen Präsens und Präteritum, weiterhin ist die Geschichte nicht chronologisch aufgebaut. Ein Grund, weshalb es ihm nichts ausmacht, das vorletzte Kapitel aus seinem Roman vorzulesen – „Zu viel wird dabei eh nicht verraten“, so seine Begründung. Er liest langsam, mit rauer Stimme, ganz anders als Ehrlich, dessen Stimme viel schneller dahinfließt und die Zuhörer mitreißt. Zwei so unterschiedliche Stile, aber beide auf ihre Weise fesselnd.

Die Diskussionen, die der Literaturkritiker Dr. Lothar Müller immer wieder aufs Neue entfacht, sind das wahre Highlight dieses Abends. Er schafft es auch bei aufbrausenden Antworten seitens Meyers das Gespräch so zu wenden, dass das Erleben dieser Diskussion eine Freude ist. Müller: „Beim Lesen musste ich an Leipzig denken…“, Meyer: „Leipzig wird im Buch mit keinem Wort erwähnt. So etwas will ich hier gar nicht hören!“ Nach einigem Argumentieren bringt der Literaturkritiker es dann auf den Punkt: „Das Schöne an Literatur ist ja, dass Sie die Leser gar nicht daran hindern können, beim Lesen an Leipzig zu denken.“ Für diesen Satz erntet Müller einen begeisterten Applaus.

Die Lesung hinterlässt neben dem nachhaltigen Eindruck der spannenden Diskussionen und der Autoren auch den Gedanken: „Das kalte Jahr“ und „Im Stein“ sind zwei auffallende Romane – aber haben sie den Bremer Literaturpreis verdient? Die Meinung der Jury ist klar:

Das kalte Jahr, Dumont Verlag, 2013
»Der Förderpreis zum Bremer Literaturpreis geht an Roman Ehrlich für seinen Debütroman ›Das kalte Jahr‹, der mit nüchtern-suggestiver Sprache den Leser in ein Elternhaus, einen aus Raum und Zeit gefallenen Unort hineinzieht. In dieser Winterreise zu Außenseitern und Untergängern hält den lauernden Katastrophen nur eines stand: die Freiheit des Erzählens.«

Im Stein, S. Fischer Verlag, 2013
»Der Bremer Literaturpreis geht an Clemens Meyer für seinen Roman ›Im Stein‹, der in einem kunstvollen Chor von Stimmen zwischen Wendezeit und Gegenwart die Rückseite der bürgerlichen Gesellschaft hervortreten lässt: die Welt, in der das Leben verkauft wird und die Körper zu Waren werden. Mit expressiver Sprachkraft lässt dieser ungestüme Roman im scheinbar Dokumen¬tari¬schen der Lebensläufe seiner Figuren die Mythologie der Unterwelt aufscheinen.«

Welche Meinung habt ihr? Und was ist Literatur für euch? Muss man Literatur studiert haben, um schreiben zu können und vor allem, um erfolgreich zu sein?
Wir sind gespannt auf eure Antworten!

Mehr über den Bremer Literaturpreis erfahrt ihr hier.

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

3 Kommentare

  1. Avatar

    Ich war im Dezember im Rahmen der LiteraTour Nord auch auf einer Lesung von Clemens Meyer – und kann den Eindruck nur bestätigen. Der Mann ist irgendwie in seiner eigenen Welt und seinem eigenen Kosmos. Was ihn durchaus interessant macht. Aber er ist eben auch ein bisschen kratzbürstig. 😉

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  2. Avatar

    Ach Gott, ach Gott – wie gerne wäre ich dabei gewesen. Clemens Meyer habe ich übrigens in Frankfurt erlebt, ganz ähnlich wie du und wirklich sympathisch geworden ist er mir nicht.

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  3. Bücherstadt Kurier

    Ich dachte anfangs noch, ob das nicht einfach nur Show sei. Aber wenn ihr einen ähnlichen Eindruck habt, dann wird das wohl sein Charakter sein. 😉

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