Zunehmend bedienen sich BuchmacherInnen unterschiedlicher künstlerischer Techniken, um Geschichten zu erzählen. Das sieht man beispielsweise an den Werken „Die Nacht des Elefanten“ und „Bei Vollmond“. Zeichensetzerin Alexa hat diese Bilderbücher im Hinblick auf Narration und Ästhetik untersucht.
„Die Nacht des Elefanten“ ist ein Buch über die Angst im Dunkeln. Eigentlich ist der Elefant ein furchtloses, großes und starkes Tier, aber in der Nacht, „da kann er nicht schlafen. Da wird er wild, wenn er Geräusche hört.“ Es knackt und es raschelt – bei jedem Geräusch schreckt er auf. Zu dunkel ist es, um zu erkennen, wer oder was das Geräusch verursacht hat. Da beginnt die Fantasie des Elefanten verrückt zu spielen. Er stellt sich so schreckliche Dinge vor, dass er aus Angst beginnt, wild durch die Gegend zu rennen und alles in seiner Umgebung zu zerstören.
Am nächsten Tag wundern sich die anderen Tiere über die Verwüstung und das Chaos – und einige Tage später haben sie so große Angst vor dem unbekannten, wilden „Ding“, dass sie Schutz beim Elefanten suchen. Es liegt nun an ihm, seine eigene Angst und die seiner Freunde zu besiegen. Und natürlich schafft er es, indem er versteht, woher die Geräusche kommen und indem er lernt, sie zuzuordnen.
Angst vor dem Unbekannten
Die Geschichte nimmt mit dem Ziel, die Angst vor der dunklen Nacht überwunden zu haben, kein Ende. Es folgt eine Art Epilog, der etwas aus dem Rahmen der eigentlichen Geschichte fällt, aber eine kleine Vorschau auf das Kommende bietet. Nun hat der Elefant nicht nur seine Angst besiegt, sondern ist auch in der Lage, anderen Schutz und Geborgenheit zu spenden. Sein Mut wird erneut belohnt.
Vordergründig geht es in „Die Nacht des Elefanten“ um die Angst vor dem Unbekannten. Alles, was nicht sichtbar ist, ist angsteinflößend. Alles, was nicht einzuordnen ist, ist erschreckend. Automatisch entstehen Bilder im Kopf, Vorstellungen, die auf den Geräuschen beruhen – und plötzlich ist die Idee eines furchtbaren, bedrohlichen Wesens da, das die Angst nährt. Das Bilderbuch zeigt somit auf, dass nicht die Dunkelheit das Angsteinflößende ist, sondern das Unwissen darüber, was um einen herum geschieht, wenn nichts erkennbar ist.
Der Film „Die Nacht des Elefanten“ wurde 2014 übrigens mit dem Deutschen Kurzfilmpreis ausgezeichnet. Hier könnt ihr ihn anschauen.
Viele Farben, viele Details
Passend zur Thematik sind Text und Illustrationen gestaltet. Die kurzen Sätze und sich wiederholenden Satzstrukturen tragen dazu bei, dass Spannung erzeugt und die Angst des Elefanten verdeutlicht wird: „Ohne zu wissen wohin, ohne zu wissen warum, laufen die Beine des Elefanten. Im Zickzack. Im Kreis. Hauptsache weit, weit weg.“ Die Illustrationen veranschaulichen die Handlungen und Gefühle des Elefanten. Aber sie zeigen auch mehr: in vielen Farben und Formen, Details, die so nicht beschrieben werden. Durch die Bilder wird die Welt, in welcher der Elefant lebt, erst sichtbar: Pflanzen und Tiere und kleine Nebenfiguren, die auch ihre eigene Geschichte erzählen könnten.
Wichtig für die Narration dieses Bilderbuches ist der Wechsel von Tag und Nacht – dies wird mithilfe der Hintergrundfarben Schwarz und Weiß verdeutlicht. Alles andere ist bunt. Hier sind alle Grundfarben und alle möglichen Farbabstufungen vertreten. Durch die Verwendung von Seiden- und Transparentpapier überlappen sich die einzelnen Bildelemente und ergeben neue Strukturen und Farben. Da lohnt es sich, genauer hinzuschauen – zu entdecken gibt es hier einiges!
Scherenschnitt in Schwarz und Weiß
Im Gegensatz zur detailreichen, bunten Gestaltung des Bilderbuches „Die Nacht des Elefanten“ spielt „Bei Vollmond“ mit nur zwei Farben: Schwarz für die Nacht und Weiß für den Schein des Vollmondes. Abwechselnd bestimmen die zwei Farben die Doppelseiten, von der jeweils eine Seite im Scherenschnitt ein Tier des Waldes zeigt. Auf der anderen Seite findet sich auf schlichtem Hintergrund ein kurzer Text, der meist nur aus einem Hauptsatz besteht und die dargestellten Tiere erwähnt: „Im Unterholz schreckt der Fuchs auf.“
„Bei Vollmond“ erzählt – trotz seiner Textkürze – eine kleine Geschichte: Es geht darum, dass alle Tiere auf etwas aufmerksam werden. Manche verlassen ihr Zuhause, andere werden starr oder verstecken sich. Droht eine Gefahr? „Nichts im Wald bewegt sich mehr.“ Am Ende sieht man die Bären, die als einzige ruhig geblieben sind, weil ihr Junges geboren wurde. Offengelassen wird, ob dieses Ereignis etwas mit dem Verhalten der anderen Tiere im Wald zu tun hat und wenn ja, warum.
Kunst für Kinder?
Längst sind Bilderbücher nicht nur Bücher für Kinder, sondern sprechen – in erster Linie wegen der Ästhetik – auch Erwachsene an. Ist „Die Nacht des Elefanten“ noch aufgrund der Narration, Thematik und Aufmachung ein Bilderbuch für Kinder und Erwachsene gleichermaßen, scheint „Bei Vollmond“ eher ein Werk für ältere LeserInnen zu sein. Zu kurz ist die Geschichte, um eine für Kinder spannende Handlung zu entwickeln und zu offen ist das Ende für das Verständnis junger LeserInnen. Ein Hindernis ist das aber nicht, denn Kunst ist für alle da, findet Verleger und Autor Hans-Joachim Gelberg:
„Kunst für Kinder? Nein, für wen auch immer, es ist immer Kunst für alle! Genau genommen gibt es, um mit E. H. Gombrich zu sprechen, ‚die Kunst‘ gar nicht: ‚Es gibt nur Künstler.‘“
Die Nacht des Elefanten. Martin Baltscheit. Illustration: Katharina Sieg. Bohem. 2017. BK-Altersempfehlung: Ab 3 Jahren. / Bei Vollmond. Antoine Guilloppé. Übersetzung aus dem Französischen: Ana María Montfort. Knesebeck. 2011. / die Worte die Bilder das Kind: Über Kinderliteratur. Hans-Joachim Gelberg. Beltz & Gelberg. 2005. S. 68.
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