Anlässlich unserer „Sendepause“ macht sich Rahel von Clue Writing Gedanken über „das Buch und seinen Stellenwert in einer Welt, die von flimmernden Bildschirmen und hyperinteraktiven Inhalten dominiert wird.“
Hallo werte Damen, Herren und Literaten,
seid willkommen in meinem Gehirn. Macht es euch ruhig etwas gemütlich, da hinten beim Nucleus accumbens[1] stehen Kaffee und Pumpernickel für euch bereit. Da ihr euren Weg zu diesem Beitrag gefunden habt, gehe ich frecherweise einfach mal davon aus, dass ihr dem geschriebenen Wort nicht vollkommen abgeneigt seid. Vielleicht liebt ihr Bücher sogar, verschlingt sie wie mein Herr Doktor Hund seine Karotten. Doch auch wenn ihr nur gelegentlich an literarischen Erzeugnissen nascht, ähnlich dem Herrn Professor Vogel mit seinen Bananenchips, wird euch ein gewisser Wortgehalt in eurer geistigen Ernährung wohl wichtig sein.
Gut, sitzt jeder gemütlich und hat seine Tasse bis zum Rand mit braunem Gold gefüllt? Ja? Wunderbar, dann kann es ja losgehen und ich lade euch herzlich ein, meinen Gedanken zu folgen. Worüber ich mir Gedanken mache, fragt ihr euch? Über das Buch und seinen Stellenwert in einer Welt, die von flimmernden Bildschirmen und hyperinteraktiven Inhalten dominiert wird.
Um den Stellenwert unseres guten alten Freundes, dem zerblätterten Kameraden namens Buch, auch nur halbwegs realistisch einschätzen zu können, müssen wir zuerst eingrenzen, welchen Zweck er in unseren Leben erfüllt. Zweck mag ein wenig romantisches Wort sein, doch genau darum geht es schlussendlich, wenn wir entscheiden, womit wir unsere kostbare Zeit verbringen. Hinzu kommt, dass wir herausfinden müssen, gegen welche Opponenten das Buch im Wettbewerb um unsere Aufmerksamkeit überhaupt antritt, denn ein flüchtiger Blick durch mein Büro reicht, um weit mehr als ein Fernsehgerät zu entdecken, das um meine Freizeit buhlt. Erst wenn wir diese beiden Faktoren kennen, können wir einen Versuch wagen zu beurteilen, wo unser Begleiter aus Zellpapier oder digitalen Buchstaben steht, was er besser kann als seine Gegner. Bei was brilliert das Buch, wo schwächelt seine Leistung und gegen welche Eigenschaften kommt es trotz all seiner Wortkraft nicht an?
Gut, das Einfache zuerst. Wer sind die Opponenten und wo ist ihre Achillesferse? Zum einen gibt es da den Platzhirsch des Wohnzimmers, den Fernseher. Dieser bekommt aber seit längerem ernstzunehmende Konkurrenz in Form anderer Bildschirme, die nicht ganz zufällig an mehr oder minder leistungsstarke Rechner angeschlossen werden.
Dabei dürfen wir selbstverständlich nicht vergessen, dass weder im Computer noch im Fernseher nur eine Art des Zeitvertreibs wohnt, denn Videospiele lechzen plattformübergreifend nach unserer Zeit. Dasselbe gilt für Hörbücher, Podcasts und, als Großvater im Rennen, das Radio. Die Liste ließe sich unendlich weiterführen, bis hin zum Sportprogramm oder Besuchen bei der Uroma im Altersheim. So weit will ich es jedoch nicht auf die Spitze treiben, also belassen wir es bei Bildschirmen und Klangwelten, die einigermassen nachvollziehbar als Buchersatz herhalten können. Nun aber schleunigst ab zum nächsten Faktor, der sich nicht so halbherzig abhandeln lässt…
Beginnen wir doch mit dem Offensichtlichen, vielmehr dem Althergebrachten. Sowohl vor wie auch nach Gutenbergs genialer Erfindung stand das Buch im Zeichen der (Miss-)Information über die stetig wachsenden Erkenntnisse unserer Gesellschaft und, für mich weitaus wichtiger, den Wissenschaften. Sicher, die Kirche verlor an Macht, als die breite Masse Zugang zu gedruckten Ausgaben ihres fragwürdigen Standardwerks erhielt, doch alle anderen konnten neben Informationen auch Wissen und damit Macht über ihr eigenes Leben gewinnen. Klar, dass so ein Prozess langsam, vielleicht gar mühselig vonstattengeht. Umso beeindruckender ist es, dass ich nun, nur wenige Jahrhunderte später, in einem Zimmer für euch Zeilen tippen darf, das bis unters Dach vollgepackt ist mit Sachbüchern über unsere fantastische, natürliche Welt.
Lange war das Buch der verlässlichste Quell für Informationen und meist die letzte Instanz bei Streitigkeiten über Fakten. Generationen haben mit ihm gelernt sowie gelehrt und ich wage zu behaupten, dass dem bis heute so ist. Nur bekam das gute alte Buch ab der Mitte der neunziger Jahre Konkurrenz. Sicher, die ersten Encartas waren noch nicht sonderlich bedrohlich für unseren Freund, doch das Informationspotential der weltweiten Vernetzung wurde rapide ausgebaut und bis heute ständig verbessert. Wo Wikipedia zu Beginn in akademischen Kreisen keine Chance gegen die Encyclopædia Britannica hatte, beweist es heute, dass die kollektive Intelligenz, „das Wissen der Massen“[2] sozusagen, durchaus akkurater und objektiver (insbesondere bei nicht-kontroversen Themen und solchen, die oft revidiert werden) sein kann[3].
Wer jetzt einwenden will, dass in den Weiten des Internets auch viel Unsinn zu finden ist, dem kann ich nur Recht geben, leider aber ist auch Papier (ob E-Ink, Druckpapier oder Pergament) äußerst geduldig; oder glaubt ihr etwa alles, was in Bücher gekritzelt wird? Ein weiterer Vorteil der digitalen Informationskultur ist ihre Geschwindigkeit. Diese ist schlussendlich auch das, was mich dazu bringt, unserem beblätterten Freund die Medaille für den zweiten Platz zu geben. So sehr ich die dicken Nachschlagewerke auf meinen Regalen liebe, und glaubt mir, das tue ich, sie sind zum Verstauben verdammt.
Ob ich nun wissen will, wieso kleinere Zeitintervalle als die Planck-Einheit unsinnig sind (die Zeit verliert ihre Eigenschaften als Kontinuum und wird quantisiert)[4], wie Echnatons Mutter hieß (Teje)[5], wie man Grünen Tee richtig zubereitet (mit Wasser)[6] oder ich die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest beantwortet haben will (42)[7]; all das ist nur einen Maus- oder Fingerzeig weit entfernt und ich muss dafür weder blättern noch meinen Allerwertesten vom Sofa bewegen. Das Beste am digitalen Buchersatz ist hier aber eindeutig, dass ich nach Belieben weiterrecherchieren, herumschnüffeln und erfahren kann, was andere Menschen zu einem Thema zu sagen haben.
Okay, der erste Punkt geht dem Buch durch die Lappen. Macht ja nichts, unser Freund hat schließlich viel mehr zu bieten als trockene Informationsvermittlung. Da wäre zum Beispiel ein viel abgestrittener, dennoch ziemlich offensichtlicher sozialer Aspekt. Ich habe mir ja überlegt, wie ich das in Bücherkreisen etwas heikle Thema dezent ansprechen könnte, aber da ist mir eingefallen, dass ich meistens mit fehlendem Taktgefühl punkte, eine Tradition, die ich stur beibehalten werde. Leute, ich spreche vom Bücherregal-Prahlen, dem kleinen Glitzern in den Augen eines Viellesers, wenn jemand seine Lesefaulheit zugibt, der Statussteigerung durch die Präsentation von Gegenständen, die auf intellektuelle Kapazitäten des Besitzers hinweisen sollen.
Jetzt mal ehrlich, Hand aufs Sternum, unter welcher unsere Blutversorgung durch den Corpus gepumpt wird, wer von euch hat sich noch nie gut gefühlt, wenn eine neue Bekanntschaft staunend vor dem Bücherregal stehenblieb? Streitet es bloß nicht ab, genauso wie ich weiß, dass wir alle hier und da Selbstgespräche führen, weiß ich, wie die Brust kaum merklich anschwillt, wann immer man seine gelesenen Bücher ansieht. Lesen ist ein Hobby, das am Dinner-Tisch gut ankommt, das uns sogar dann, wenn wir es mit der allergrößten Bescheidenheit erwähnen, ein klein wenig von der fernsehglotzenden Masse abhebt. Freilich macht es uns nicht wirklich klüger (abhängig vom Lesestoff, selbstverständlich), doch es trägt noch immer diesen süßen Beigeschmack vom Universalgelehrten, der irgendwo in der Vergangenheit in seinen Gemächern durch Handgeschriebenes wühlte.
Der Schein hört allerdings nicht beim Gegenüber auf, nein, wir tragen ihn in uns. Man lässt seinen Blick über die Regale schweifen und denkt, erst zurückhaltend, dann mit glorreichen Fanfaren im Hinterkopf: „Das habe ich gelesen!“ Dabei spielt es nicht einmal eine Rolle, was für Bücher man gelesen hat, ja, sogar Liebesromane gelten hier als valider Grund zur Selbstbeweihräucherung. Alleine der Akt des Lesens scheint eine gewisse Erhabenheit an sich zu haben und ein zu Ende gelesenes Buch bringt das Gefühl, etwas geschafft, ja gar erreicht zu haben. „Das habe ich gelesen!“, kann dann im Idealfall zum Synonym für „Ich habe die Gedanken eines anderen verstanden“ werden, womöglich sogar für „Ich habe mehr über einen Teil meiner Mit- und Umwelt gelernt und bin dadurch ein Stück näher an den Menschen gerückt, den ich mir zu sein erhoffe!“.
Okay, zugegeben, ich stecke viel Zuversicht in die Fähigkeiten eines Buches, den Selbstwert und sozialen Status eines Menschen aufzubauen; ich liege nicht falsch, nicht grundsätzlich zumindest. Und wenn ich schon hier bin und euch meine Meinung unter die Nase halte, kann ich auch sagen: Genießt es und wehe einer schämt sich dafür!
Also, wie halten der werte Fernseher oder das Internet hier mit? Sie holen auf, zumindest was den sozialen Status betrifft (ja, ich sehe dich an, werter iPhone Benutzer), doch das Buch führt derzeit noch mit relativ komfortablem Abstand auf der Rennbahn der vermeintlichen, intellektuellen Überlegenheit. Und egal wie sehr es mich freut, mir mit Wollsocken und Popcorn einen Firefly[8]-Marathon zu gönnen, danach habe ich nie den Eindruck, etwas geschafft zu haben (außer natürlich meine Lieben vor Reavers zu retten, versteht sich).
Natürlich endet das Lesen nicht beim Labsalen des Egos oder dem Ruf, sondern streckt seine Fühler gehörig in andere Territorien aus, erweitert sozusagen das des Lesers. Nun, wir sprechen hier nicht von feindlichen Übernahmen, sondern von der in einschlägiger Literatur bekannten Horizonterweiterung. Manch einer mag versuchen seine Perspektive mittels des neusten Schreis aus der Selbsthilfeabteilung zu erweitern, doch ein wirklich gutes Buch sagt dir nicht, was du dazulernen sollst, sondern lässt es dich erleben, lässt dich reisen wie fühlen.
Der eine lernt mit Oscar Wilde die viktorianische Ära der Dandys[9] kennen (Lord Henry Wotton wäre durchaus amüsiert), erfährt mit Harlan Ellison wie schrecklich schwer es fällt, ohne Mund zu schreien[10], erlebt mit Anthony Burgess oder Art Spiegelman die menschliche Bereitschaft, Scheußliches zu tun sowie auszuhalten[11] und erforscht mit George Orwell eine intime, infiltrierende Art der Kontrolle[12]. Andere vergnügen sich mit leichter Kost, lassen wohlige Emotionen die Zügel übernehmen.
Egal welches Buch wir lesen, wenn es gut war, wird es in uns seinen Fingerabdruck hinterlassen, in unseren Gedanken auftauchen, wenn wir uns mit neuen Situationen konfrontiert sehen, die uns nach den Erfahrungen anderer suchen lassen. In den Büchern finden wir Liebe, Rache, Hoffnung, Angst, Demut und Größenwahn. Die Geschichten anderer Leute lassen uns mitfühlen, mitweinen und –lachen, Dinge erleben, die in unserer Zukunft (da wird sich Jules Vernes freuen) oder Vergangenheit liegen, ja gar Dinge, die außerhalb des Möglichen stehen.
Fragt sich nur, ob das Buch ein Monopol auf diese besondere Weise der perspektivischen Bereicherung besitzt. Ich mache es kurz und schmerzlos: Nein. Ich will zwar nicht einmal im Traum, nicht mal gefesselt unter der Androhung von Stromschlägen, daran denken, dass das betäubende Nachmittagsprogramm auch nur ansatzweise als Horizonterweiterung in Betracht zu ziehen, aber die geschätzte Flimmerkiste hat mehr auf dem Kasten. Sei es nun der ewige Sonnenschein eines makellosen Geistes[13], der uns die Liebe näherbringt, das ernsthaft-komische Spiel mit der Welt, das Mut in der harten Realität beweist[14] oder die Abenteuer einer generationenalten Crew, die durch den Weltraum reist, um das Universum zu ergründen[15] (man merke, es zu ergründen, nicht es sich unter den Nagel zu reißen!) – es wird klar, der Horizont kann auch visuell wachsen.
Und spätestens wenn man dicht vor dem Bildschirm sitzt, angespannt mit weit aufgerissenen Augen, die Finger klamm um den Controller geklammert und eigenhändig um das Leben eines rothaarigen Mädchens kämpft[16], kann keiner mehr behaupten, der Fernseher oder Computer könne keine Emotionen transportieren. Können sie es besser als das Buch? Mehr dazu im allseits bekannten und verhassten „Später“.
Gut, kommen wir zum entspannten Teil unseres kleinen Diskurses, der Entspannung selbst. Ist es nicht einfach herrlich, sich auf dem Balkon zu räkeln, im Bett zu liegen oder irgendwo im Wohnzimmer herumzulungern, während man alles um sich herum vergisst und vollkommen in eine Buchwelt abtauchen kann? Mit einem guten Buch kann man einfach alles ausblenden, das stresst, nervt, belastet oder dich anbellt, weil es schon wieder etwas Fressbares haben will.
Ich glaube nicht, dass ich mich zu weit aus dem Fenster lehne, wenn ich behaupte, dass Lesen für viele Entspannung pur ist. Je nach Gusto kann sie säuselnd schmeicheln, actionreich die Nerven kitzeln, Lachmuskeln wie auch Tränendrüsen trainieren und in meinem Fall gerne auch gehörig absurd durch zukünftig utopische Dystopien führen. Was auch immer unser ganz individuelles Alltagssurren im Hirn abstellt, sei herzlich willkommen auf unserem Schoß, dort wo es so praktisch liegt, dass man die Arme nicht über den Kopf heben muss, um die Worte aufsaugen zu können.
Klar, genau das kann der Fernseher auch und mir wurde zugetragen, dass dieses Internet, von dem alle sprechen, einige Möglichkeiten bietet, seine Zeit zu vertrödeln. Ja gut, ich gebe zu auch das Weiterhüpfen von Hundewelpen-Videos, zu Let’s Plays, zu Panel-Diskussionen, zurück zu Hundewelpen-Videos kann ohne Zweifel entspannend sein. Wie das willen- und geistlose Herumzappen auf TV-Kanälen zur Tiefenentspannung zuträglich sein soll, erschließt sich mir persönlich nun nicht (bin ich doch ein Build-Your-Own-Program Mensch), das andere so empfinden, lässt sich trotzdem nicht abstreiten.
Also, wer gewinnt den entspannten Hirnmassage-Punkt? Unser buchstäblicher, pardon, bebuchstabter Freund, die Flimmerkiste oder etwa das neue Kind auf dem Schulhof, das Internet? Nun, wahrscheinlich alle und keiner. Auch hier verweise ich mit vagen Hinweisen auf das, was zu guter Letzt kommt und „Fazit“ genannt wird.
Doch bevor wir zum Schluss kommen, bleibt noch eine große Lücke, die geschlossen werden will. Nicht die Bildungs- sondern die Unterhaltungslücke soll uns jetzt beschäftigen. Es soll ja vorkommen, dass Leute ab und an nicht nur Entspannung, sondern Ablenkung von der alles verschlingenden Langeweile suchen.
Ich will nun freundlich sein und euch an dieser Stelle wissen lassen, dass diese Zerstreuung mit dem Akt des Ablesens von Buchstaben erreicht werden kann, insbesondere dann, wenn man seine graue Materie etwas bemüht und die Buchstaben zu Worten, die Worte zu Erzählungen und diese zu Bildern vor dem sprichwörtlichen geistigen Auge zusammenbaut. Nein, Quatsch beiseite (man darf wohl noch hoffen), Bücher sind ein wunderbares Mittel zur Unterhaltung, egal welcher Art. Für jeden ist zwischen den Laken, entschuldigt, Covern etwas zu finden, das gefällt und wer lesen kann, muss weder zum Lachen noch zum Weinen in den Keller spazieren – bloß in die Bücherei oder den online Shop des Vertrauens.
Aber halt, da war doch noch etwas. Ist Unterhaltung nicht der zugrundeliegende Zweck des Fernsehens? Klar, Nachrichten und so weiter erzielen weiterhin hohe Quoten (immerhin!), doch der beste Freund des Feierabends brilliert dann doch in der kunterbunten Sparte des Entertainments. Dasselbe gilt für die Gaming-Konsole und obwohl ich das Internet nur zu gerne als Ort des fleißigen Lernens verkaufen würde, haben wir sie alle gesehen, die Katzen-Videos, Tratschseiten und, naja, Clue Writing. Von A wie Abenteuer bis Z wie Zombiehorror, jedes Medium bietet ein breites Spektrum aus dem Regenbogen der Unterhaltung, eine Tatsache, die einem spätestens dann bewusst wird, wenn selbst arbeitsfreie Tage nicht genügend Stunden haben. Damit kommen wir schon zur letzten Station in unserer Reise der Gegenüberstellungen…
Genau hier wird unser guter Freund, der Träger des Alphabets, nämlich von seinen jüngeren Unterhaltungs-Genossen überrundet. Sicher, ein Buch zu lesen ist toll, wenn nicht gar grandiotastisch, doch wo bleibt die Zeit? Natürlich will ich mir das neue Buch meiner Lieblingshorrorautorin (Zombies, Leute, alles ist besser mit Zombies) einverleiben. Ich will aber auch zeichnen, malen, Yoga-Übungen machen, den Doktoren Hund durch die Herbstblätter fegen lassen, den Professoren Vogel liebevoll ärgern und wenn wir schon dabei sind, würde ich gerne etwas essen, die Wäsche liegt auch noch rum und ich wollte doch schon seit Ewigkeiten mal wieder meinen Kumpel besuchen, der drei Autostunden entfernt wohnt.
Zeitmanagement der Freizeit wird für die meisten von uns immer mehr zum hausgemachten Problem und zumindest bei mir bleibt das Buch dabei auf der Strecke. Nicht etwa weil ich die Unterhaltung der visuellen Medien grundsätzlich mehr schätzen würde oder den Informationsgehalt einer Radiosendung bevorzuge, sondern schlicht und einfach, weil ich mit dem Buch in der Hand nichts anderes tun kann als zu Lesen.
Lasst uns der grausamen Realität in die Augen sehen: Das Buch ist Multitaskingbehindert. Oder, für diejenigen, die auf politische Korrektheit bestehen: Das Buch lebt mit einer Beeinträchtigung, wenn es darum geht mehrere Dinge simultan tun zu wollen.
Wenn ich also meine Wochenenden mit Erledigungen, Freunden und Spaß im Freien oder mit dem Skizzenblock verbringen will, dann kann ich entweder auf Unterhaltung und Informationen verzichten, oder auf Medien umsteigen, die es mir ermöglichen, herumzufahren, wandern zu gehen und meine Wäsche zu ignorieren (letzteres kann ich übrigens immer, egal unter welchen Umständen). Die Lösung ist so simpel wie vielseitig, denn insbesondere das Internet erlaubt es mir, zu jeder Zeit genau das hören und sehen zu können, wonach mir gerade der Sinn steht. Das Hörbuch passt zum Spaziergang am Abend, die Stanford-Vorlesung zum Putzen, die Folge Dr. Who zum Kochen und der Podcast (noch besser, der Clue Cast) zum Zeichnen. Das Buch hingegen passt da bestenfalls in den kurzen Zeitraum zwischen dem Moment, in dem ich mich der Müdigkeit geschlagen gebe und ins Bett falle und der Sekunde, bevor meine Augen zufallen.
Also, lasst uns mal sehen, ob wir die Antwort auf unsere Einstiegsfrage zwischen all den vagen Aussagen, Hypothesen und unpassend langen Sätzen dieses Beitrages finden können. Die Zeilen werden knapp (oder längst ausgegangen) und wir wissen noch immer nicht welchen Stellenwert das Buch denn nun in einer Welt, die von flimmernden Bildschirmen und hyperinteraktiven Inhalten dominiert wird, einnimmt. Habt ihr alle schön die Punkte notiert und alles Wichtige mit dem Leuchtstift markiert? Habt ihr nicht? Na gut, dann lasst mich rasch das Offensichtliche rekapitulieren:
Der Wunsch, Informationen und Wissen verbreiten zu können, mochte eine der treibenden Kräfte hinter der Erfolgsstory des Buches gewesen sein. Heute fahren wir allerdings besser, vor allem schneller und bequemer, wenn wir unsere Recherchen in die Welt der Bits und Bytes verlegen. Obwohl ich keine Fach-Bibliothek missen möchte, freue ich mich auf den Tag, an dem jedes Buch digitalisiert wurde und so federleicht in meine Hosentasche passt.
Nicht viel geht über das Gefühl, vor einem reich bestückten Bücherregal oder einer E-Book Bibliothek zu stehen und zu wissen, dass man sich mindestens zwei Drittel deren Inhalte hat schmecken lassen wie eine Kugel Kaffee-Eis. Dass man damit auch noch eine Atmosphäre aus (pseudo-)intellektuellem Charme, wahlweise auch Dunst, versprüht, verleiht dem Ganzen das Sahnehäubchen mit Kirsche obendrauf. Nur leider kann man diese literarischen Vorzüge bloß separat genießen, denn das Buch verlangt so viel Aufmerksamkeit von uns, dass wir daneben kaum geradeauslaufen können. Das, was aber wirklich interessant ist, sind nicht die augenscheinlichen Vor- und Nachteile. Vielmehr gelüstet es mich nach einem Bissen voller unklarer Resultate, denn genau dort finden wir auch den Nukleus unseres lockenköpfigen Canis lupus familiaris[17].
Ob wir unseren Horizont erweitern, aus den Erfahrungen und dem Erleben anderer wachsen wollen, oder ob wir uns mit ausgestreckten Gliedern entspannt unterhalten lassen, die Entscheidung, womit wir das tun, ist komplett offen. Zu jedem Liebesroman gibt es die romantische Komödie, zum Krimi das Point and Click Videospiel, zum Fachbuch der passende YouTube-Channel, zum Erotikroman die Pornoindustrie (ja, ich habe es gesagt, Erotikliteratur ist Pornographie. Es spricht überhaupt nichts dagegen, es idealisierend in eine andere Schublade zu stopfen, ist allerdings albern) und zum verschroben-genialen Buch, das sich jeder Erklärung verwehrt, gibt es Welcome to Nightvale. Ihr seht, worauf ich hinaus will.
Es gibt Meisterwerke, die sich mit Themen befassen, welche uns alle etwas angehen, oftmals weil sie grundsätzliche Wesenszüge des Menschen hinterfragen und uns damit die Chance geben, unser eigenes Denken und Handeln zu erkennen, es nötigenfalls zu verändern. Diese Meisterwerke finden sich nicht bloß auf dem Bücherregal, sondern überall dort, wo wir aktiv nach ihnen suchen oder auch einfach nur zufällig über sie stolpern. Genau da liegt auch der Wert des Buches, nicht über oder unter, sondern direkt neben dem Wert des Fernsehens, des Internets, der Videospiele, der Comics und Podcasts sowie allem anderen, das uns Spaß macht, zum Lachen, Schaudern, Kopfschütteln, Applaudieren und Nachdenken bringt.
Die Frage, ob wir Buch oder Fernsehen wählen sollen, ist eine, die von niemandem beantwortet werden kann, außer dem Leser, Zuschauer oder Hörer, denn wer sonst könnte wissen, was gerade den richtigen Nerv trifft, was neue Gedanken provoziert, die Seele streichelt, den Wissensspeicher weiter füllt oder einfach einen verregneten Nachmittag verschönert?
In dem Sinne wünsche ich euch gemütlich-anregendes Lesen (aber bitte auf Clue Writing), epische Schlachten beim Gamen, fröhlich-informatives Surfen, unterhaltsam-stressfreies Fernsehen, liebliches Podcast und Hörbuch lauschen und vor allem… Viel Spaß.
Damit entlasse ich euch aus meinem Gehirn, ab in die freie Wildbahn der großen Auswahl und hoffe, dass ihr euch nach dieser Odyssee einen Keks zur Belohnung gönnt.
Mit fantastilliardischem Dank fürs Lesen
Eure Clue Writer
Rahel
Parade der Anspielungen (alle Links wurden am 14.09.2015 eingesehen):
[1] Wikipedia Artikel zum Nucleus accumbens (DE)
[2] Wikipedia Artikel zu James Surowieckis “The wisdom of crowds. Why the many are smarter than the few and how collective wisdom shapes business, economies, societies and nations” (DE)
[3] „Wikipedia or Encyclopædia Britannica: Which Has More Bias?” Artikel der Forbes Online-Ausgabe, verfasst von Michael Blanding. (ENG)
[4] Wikipedia-Artikel zur Planck-Zeit (DE)
[5] Wikipedia-Artikel zu König/Pharao Echnaton (DE)
[6] Traditionelle Zubereitung von Sencha Tee (ENG)
[7] YouTube-Video der berühmten Szene aus der 2005 Verfilmung des Klassikers „The Hitchhiker‘s Guide tot he Galaxy“ von Douglas Adams (ENG)
[8] IMDb von Joss Whedons TV-Serie “Firefly” (ENG)
[9] Wikipedia-Artikel zu Oscar Wildes Novelle „The Picture of Dorian Gray“(DE)
[10] Wikipedia-Artikel zu Harlan Ellisons Kurzgeschichte „I Haven No Mouth an I Must Scream“ (ENG)
[11] Wikipedia-Artikel zu Anthony Burgess‘ Roman „A Clockwork Orange“ und zu Art Spiegelmans Comic “Maus – A Survivor’s Tale“ (DE)
[12] Übersicht der Werke George Orwells (ENG)
[13] IMDb von Michel Gondrys “Eternal Sunshine of the Spotless Mind” (ENG)
[14] IMDb von Charlie Chaplins “The Great Dictator” (ENG)
[15] Wikipedia Artikel zu “Star Trek” (DE)
[16] Offizielle Seite zu Naughty Dogs “The Last of Us” (ENG)
[17] Wikipedia-Artikel zu der „Pudelszene“ aus J.W. Goethes “Faust. Eine Tragödie“ (DE)
Rahels objektive Gedanken zur “ Sendepause “ haben mir gut gefallen. Dazu möchte ich anmerken : Was geschiet wenn wir versuchen ein Buch zu “ entsorgen“ ? Ich nehme ein Buch in die Hand, schlage es auf —und lese mich fest ! Das war’s ! Danach landet das Buch wieder im Regal und ich stelle erneut fest, ich kann kein Buch wegwerfen ! Ich möchte Getrude Stein in abgeänderter Form zitieren: ein Buch, ist ein Buch,ist ein Buch ! Ich verdanke ihnen viel ! +++++ ein gutes und interessantes neues Jehr !+++++++++
Hallo werte Dorothea
Oh ja. Bücher wegzuwerfen geht einfach nicht. Es ist beinahe eine physiologische Unmöglichkeit fürs bücherliebende Herz eines jeden Lesefreundes. Meine Regale sind bis zum Bersten gefüllt, also mache ich das, was jeder brave Leser tut und kaufe mir einfach neue Regale – und Bücher. Wenn, dank E-Reader und Hörbuch, nicht mehr so oft wie früher.
Eines schönen Tages, so fürchte/hoffe ich, werden die Regalwälder dennoch ausufern und bis in die Küche wachsen. „Schöner Wohnen“, nennt man das.
Mit lieben Grüssen und grandiotastischen Wünschen
Deine Clue Writer
Rahel
Doch, doch … Bücher wegwerfen … das geht schon. Es gibt Bücher, die sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Man muss sie natürlich nicht gleich verschwenderisch ins Altpapier verfrachten. Es ist durchaus ein kreatives Recycling möglich. Eventuell taugen sie noch für Origami, als Lampenschirm oder in letzter Instanz als Toilettenpapier.
Ich muss allerdings zugeben, dass mir erst ein Buch untergekommen ist, bei dem ich diese Art von Gedanken hegte.
Darf man Bücher wegwerfen? – Diese Frage stellten wir uns im BK-Team auch schon intern.
Jetzt haben wir dazu zwei Meinungen: Man darf – und man darf nicht!
Neben umweltfreundlichen Aspekten (Hinterlässt E-Technik einen geringeren Fußabdruck als Gedrucktes?)
gibt es auch pragmatische Gründe für den Umgang mit überfüllten Bücherregalen.
Ich kann mich nicht ganz für eine Seite entscheiden: Ich finde es schön, dass Bücher noch einen Status haben, der an Reliquien erinnert, aber manchmal eignen sich unbeliebte Bücher auch gut zum Basteln. Ich weise kurz auf das Stichwort „Buchskulpturen“ hin.
Hallo, Ihr Lieben, ich habe die Kommentare aus dem vorigen Jahr noch einmal gelesen und meine Einstellung zu den Büchern nach 12 Monaten sind in Bezug auf das Wegwerfen und sinnvolle Entsorgen ist nun etwas entkrampfter. Bei kritischer Betrachtung der “ Kandidaten “ und dem Urteil für und wider, habe ich eine große Kiste vollgepackt und lauere jetzt auf Abnehmer. Da habe ich einen Bücherflohmarkt der Kath. Kirche und eine Cousine, die auch eine Leseratte ist. MIt einem Seufzer ist nun die Kiste unterwegs und ich hoffe, die Bücher bekommen eine zweite Chance.
Beste Grüße und friedvolle Von Dorothea