Hinter dem Schweigen Gottes

von | 20.03.2017 | Belletristik, Buchpranger

Die Glaubensfrage. Nichts könnte meiner Gedankenwelt ferner sein. Noch nie hat sie sich gestellt. Nicht seit ich denken kann, hat Religion in meinem Leben eine tragende Rolle gespielt und trotzdem oder gerade deswegen ist „Schweigen“ von Shūsaku Endō eine Reise voller Entdeckungen. – Von Codejäger Peter

„Schweigen“ ist eine Geschichte von Eindeutigkeiten, von Motiven, Metaphern und Allegorien, welche sich nicht verstecken (Jesus, Judas und Gottesfiguren wohin das Auge blickt), von Eindeutigkeiten in den Weltvorstellungen der Protagonisten, die aufeinander prallen und von der Leere, die sich auftut, wenn sie verschwinden.

Weltanschauung und Glaube

Die beiden jungen Missionare Garpe und Rodrigues schleusen sich im 17. Jahrhundert bei Nacht und Nebel nach Japan ein, wo der katholische Glaube nach Jahrzehnten der Missionierung verboten wurde und seine Anhänger gnadenlos verfolgt werden. Die Konfrontation der bedingungslosen Gottesfurcht mit der religiösen Naivität der Einheimischen und der Brutalität der Herrschenden ist der Motor, der die Handlung des Romans vorantreibt.
Rodrigues als emotionaler Ankerpunkt der Geschichte kämpft nicht nur mit seinen Verfolgern sondern auch mit sich selbst, mit seiner Vorstellung dessen, was er sein sollte, und mit dem anhaltenden Schweigen Gottes zum Leiden der japanischen Katholiken. Dabei rückt er sich selbst bewusst und nicht ohne Selbstreflexion in eine Erlöserrolle. Er sieht sein Spiegelbild mit dem Bild Jesu verschmelzen, sieht der Folter und dem Märtyrertod beinahe mit Vorfreude entgegen, nur um mit dem Märtyrertum anderer konfrontiert zu werden, die für ihn ihr Leben lassen.

Das wiederholte, genaue Durchexerzieren einer Passionsgeschichte und die expliziten Gedankengänge des Protagonisten sollten aber nicht von der tieferen Fragestellung ablenken. Wie wichtig ist das Ritual und die Form für den Glauben? Wie verhält sich christliche Moral, wenn sie mit der Realität in Konflikt gerät? Der fanatische Glaube des Rodrigues mag in der Rückschau unverständlich anmuten, doch repräsentiert er nichts anderes als eine gefestigte Weltanschauung, die auf die Probe gestellt wird.

Japanische Kulturreflexion und westeuropäisches Kulturselbstverständnis

„Schweigen“ ist ein historischer Roman. Es treten – neben den auf realen Personen basierenden Protagonisten – historische Begebenheiten und Figuren des Japan im 17. Jahrhundert auf und, wie in vielen historischen Erzählungen, wird stellenweise Wert auf die Beschreibung der Zeit gelegt, der Örtlichkeiten, der Kultur. Dies ist wichtig, um die unauflösliche Trennlinie zwischen den harten Wahrheiten Japans und Rodrigues klerikaler Innenwelt stets greifbar zu machen. Ein Faszinosum der Erzählung ist die vom Autor als japanischer Katholik gewählte Außenansicht auf die Verhältnisse Japans. Indem er seine (obwohl zeitlich weit entfernte) Innenansicht auf die Erlebnisse der Neuankömmlinge projiziert, treffen sich japanische Kulturreflexion und westeuropäisches Kulturselbstverständnis und kreieren ein auf interessante Weise irritierendes und szenenweise verstörendes Bild der Ereignisse.

Die Sprache in „Schweigen“ bleibt ihrem Titel treu. Sie ist zurückgenommen, sachdienlich und beschreibend, ohne detailverliebt zu sein. Die Gedankenwelt des Protagonisten verfließt gleichberechtigt mit der Handlung. Im Katholizismus des 17. Jahrhunderts scheint die Jenseitsfixierung bereits einen Schritt zurückgetreten zu sein, doch steht sie zu jedem Zeitpunkt auf gleicher Stufe mit dem Diesseits. Gedanken und Handlungen sind eins. Rodrigues ist sich jedem seiner Schritte bewusst, reflektiert, ohne in andere Sprache zu verfallen.
Das Innen und das Außen spiegeln sich und über allem steht die Leere, die Gottes Schweigen hinterlässt. Die Sprache des Romans scheint in ihrer Unaufgeregtheit und beschreibenden Neutralität (nicht umsonst fügen sich Briefe, Logbucheinträge, Beamtennotizen nahtlos ein) eine Antwort zu erwarten, sie in Aussicht zu stellen und entzieht sie wieder jeder Erreichbarkeit, wenn sie zum Greifen nahe scheint. Dies gilt für die Figuren, wie auch für die Lesenden.

„Schweigen“ ist ein Roman der philosophischen Reflexion, ein historischer Roman, ein Roman dessen Kern sich umso weiter entzieht, desto mehr man durch seine oberflächliche Eindeutigkeit blickt. Ein faszinierendes Werk, dessen Wert über Glauben und Nichtglauben steht und deshalb seine Kraft auf jeden wirken lässt, ob gläubig oder nicht.

Schweigen. Shūsaku Endō . Übersetzung: Ruth Linhart. Septime Verlag. 2015.

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