Fangirls l(i)eben eben anders

von | 23.09.2017 | Belletristik, Buchpranger

Auf „Fangirl“ von Rainbow Rowell hat sich Buchstaplerin Maike lange gefreut, hat sie doch sogar ihre Bachelorarbeit über Fanfiction geschrieben. Doch leider kann sie das Buch nicht so begeistern, wie erwartet. Woran das liegt, verrät sie gern.

Cath ist ein Fangirl, wie es im Buche steht. Seit ihrer Kindheit liebt sie die Romanreihe um Zauberschüler Simon Snow. Unter einem Pseudonym schreibt sie im Internet schwule Fanfictions über Simon und seinen Erzfeind, die von der Fangemeinschaft geliebt werden. Alles könnte perfekt sein, wäre da nicht ihr Umzug ans College, mit dem die Probleme anfangen. Cath zerstreitet sich mit ihrer Zwillingsschwester, sie will keine neuen Freunde oder aus ihrer Komfortzone hinaus. Ihre Professorin hat nichts als Verachtung für Fanfiction übrig. Und wie soll Cath ihr Mammutprojekt, das alternative Ende zur Simon Snow Reihe, fertigstellen, während sie ihre Gefühle für Levi, den Freund ihrer Mitbewohnerin verwirren?

Was ist „echte“ Literatur? Was ist das „echte“ Leben?

Was locker und humorvoll klingt, ist vielschichtiger und kann durchaus mit vielen dunklen Ecken aufwarten. Rowell charakterisiert die Protagonistin Cath einfühlsam als introvertierte, unsichere und verschlossene junge Frau, die ihren Frieden im Fandom, dem Schreiben und ihrer extrovertierten Schwester Wren findet. Mit dem Wechsel aufs College beginnt für Cath ein Jahr voller Konflikte. Nach und nach zeigt sich, dass Cath aus einer zerrütteten Familie kommt: Die Kluft zwischen ihr und ihrer Schwester wächst, bis sie unüberbrückbar erscheint. Cath bereut, dass ihr psychisch kranker Vater nun allein zu Hause ist. Sie kann ihrer Mutter nicht verzeihen, sie als Kind verlassen zu haben. Zusätzlich zwingt das Leben auf dem Campus Cath dazu, sich aus ihrer Komfortzone zu bewegen, nicht immer mit positiven Konsequenzen. Cath findet sich in einem Geflecht wieder, das das Internet dem „echten“ Leben gegenüberstellt, und ihre Fanfiction der „echten“ Literatur. Die Folge sind Selbstzweifel und Resignation.

Eine problematische und eine imaginäre Romanze

Für mich gibt es eine Sache, die dem Buch schadet, all die Konflikte mitreißend und mit ausreichend Raum zu verhandeln: Caths Romanze mit Levi. In großen Teilen des Buches erscheint der extrovertierte Naturbursche eher wie ein Ersatz für die abwesende Wren. Ihm gegenüber kann Cath sich öffnen und wieder so in ihre Fanfiction eintauchen, wie zuvor mit ihrer Schwester. Es ist also nicht die Tatsache, dass es eine Romanze gibt, sondern wie Levi etabliert und seine übergriffigen Handlungen als normal und sogar romantisch verharmlost werden.
Cath ist in romantischer und sexueller Hinsicht unerfahren, aber nicht unaufmerksam: Sie erkennt und benennt Levis problematisches Verhalten sogar, doch schnell werden die Warnsignale mit dessen gutem Aussehen und freundlichem Wesen relativiert. Denn Levi ist beim genaueren Hinschauen nicht der perfekte Freund, als der er dargestellt wird: Immer wieder überschreitet er Caths Grenzen. Das beginnt damit, dass er ihren Wunsch, Cath statt Cather genannt zu werden, den ganzen Roman über nicht respektiert. Er lässt von ihr kaum Widerrede zu: Was er möchte, setzt er um, indem er anzweifelt, dass Cath wirklich weiß, was sie eigentlich will. Mit freundlicher Beharrlichkeit redet er solange auf sie ein, bis ihr Nein zu einem Ja wird. Dieses Ungleichgewicht ist nicht nur keine gute Grundlage für eine Beziehung, sondern wäre im „echten“ Leben gefährlich.

Ein Fangirl, wie es im Buche steht

Im Gegensatz dazu gelingt es Rowell hervorragend, das Phänomen Fandom und Fanfiction lebendig, voller Witz und Verständnis wiederzugeben. Cath ist der Prototyp eines Fangirls. Für Außenstehende wird alles ganz nebenbei erklärt: „Bei Fanfiction […] geht es nur darum, dass du mit der Welt eines anderen spielst. Die Regeln neu schreibst. Oder sie umgehst. Die Geschichte muss nicht zu Ende sein, wenn Gemma Leslie es will. Du kannst in dieser Welt bleiben, der Welt die du liebst, so lange du willst“ (S. 134). Dass Rowell dabei mit Klischees spielt, etwa dem obsessiven Fantasieren von schwulen Paaren, während die Fangirls selbst schüchterne Jungfrauen seien, ist nicht verwunderlich. Für „Eingeweihte“ ist Cath eine Identifikationsfigur, die mit den Klischees aufräumt und sich als integre Person beweist, die ihre Grenzen kennt.
Mit „Simon Snow“ konstruiert Rowell eine fiktive Welt und ein Fandom, die parallel zu Harry Potter verstanden werden können. Fragmente von Caths Geschichten um Simon und Baz lassen das Fandom nebenbei lebendig werden. Das geht soweit, dass Caths alternativer finaler Simon Snow Band, den sie mit ihrer Lieblingsautorin um die Wette schreibt, ein Eigenleben bekommt: Rainbow Rowells „Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow“ (dtv, 2017) ist nichts anderes als Caths Meisterwerk in „Fangirl“.

Von diesem Buch werde ich selbst wohl kein Fangirl. Obwohl mich die Darstellung von Cath und ihrer Liebe zum Fandom trifft und ich mich in vielen Belangen in ihr wiederfinde, ist „Fangirl“ keine uneingeschränkte Empfehlung. Einige problematische Konflikte werden verharmlost, die Auflösung anderer kommt viel zu kurz.

Fangirl. Rainbow Rowell. Übersetzung: Brigitte Jakobeit. Hanser. 2017. Erhältlich im Buchhandel vor Ort.

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