Ist die Menschheit noch zu retten? Diese Frage stellt sich der Schweizer Autor Alfonso Pecorelli in „Das Mädchen, das die Welt veränderte“ und schickt die kleine Marie auf eine Reise durch Raum und Zeit. Ein philosophisches Märchen, das den moralischen Vorschlaghammer stets bereithält. – Von Bücherstädter Florian Fabozzi
Marie ist erst acht Jahre alt, als sie von Krankheit gezeichnet in den Armen ihres Großvaters stirbt. Sie erwacht an einem warmen, paradiesischen Ort. Dort trifft sie auf einen alten Mann, der sich als Gott herausstellt. Marie nennt ihn Elvis. Elvis ist erbost über die Menschheit und will ihrem Wandeln auf Erden ein Ende bereiten. Einzig Marie habe es verdient, im Paradies zu verweilen. Die kleine Marie kann Elvis überzeugen, der Menschheit eine letzte Chance zu geben. Er schickt sie auf eine Reise durch die Weltgeschichte. Mit dabei: eine magische, gelbe Blume. Ihre Blätter verleihen den Menschen Weisheit. Nun liegt es allein an Marie, den einen Menschen zu finden, der die Antwort auf die Frage aller Fragen kennt und die Menschheit rettet.
Stelldichein mit historischen Personen
Auf ihrer Reise begegnet Marie Philosophen aus den unterschiedlichen Epochen der Weltgeschichte. Angefangen mit Platon aus dem antiken Griechenland, über den französischen Wissenschaftler Blaise Pascal bis hin zu Artur Schopenhauer. Alle erzählen dem Mädchen von ihren Errungenschaften und Erkenntnissen, beantworten ihr Fragen über Gott, die Menschheit und die Welt mit Worten, die auch ein Kind versteht. Doch keiner vermag es, die Frage aller Fragen richtig zu beantworten. Um welche Frage es sich hierbei handelt, offenbart sich erst am Ende des Buches, die Leser werden lange im Dunkeln gelassen und müssen eigene Überlegungen anstellen.
Das Buch bietet einen großartigen Lerneffekt, da die Positionen der unterschiedlichen Größen der letzten Jahrhunderte dargestellt und die Leser damit in gewisser Weise in einen philosophischen Diskurs eingebunden werden. Aus dramaturgischer Sicht erlahmt die Geschichte, da die Prozedur der Begegnung Maries mit den Berühmtheiten stets dieselbe ist und die Reise wenig Höhen und Tiefen bietet.
Auch Hitler darf nicht fehlen
Das ändert sich, als Marie niemanden geringeren als Adolf Hitler trifft. Hitler als die Personifikation des Bösen abzubilden ist gleichermaßen nachvollziehbar wie abgedroschen. Eine Geschichte, die offensichtlich ein kritisches Menschenbild zu zeichnen versucht, hätte die Rolle des Bösen auf mehrere Schultern verteilen können. Hitler ist noch ein Kind, als Marie ihn erstmals trifft. Bereits hier sind von „dunklen Schatten“ die Rede, die von Hitler ausgehen. Dies ist insofern problematisch, als dass es suggeriert, das Böse läge in der Veranlagung eines Menschen. Dagegen repräsentiert Marie die reine Unschuld, den idealen Menschen. Viel schwarz und weiß – doch wenig Platz für Grautöne.
Die moralische Instanz des Werkes ist zweifellos Elvis. Er definiert in aller Deutlichkeit, was richtig und falsch ist. Die Menschheit wird ganz pauschal als schlecht dargestellt. Es entsteht der Eindruck, als gäbe es nur ein einziges moralisches Wertekorsett, das sich alle Menschen anziehen müssen. Der moralische Diskurs wirkt so sehr unreflektiert. Die Vermittlung erfolgt nicht subtil, sondern eher mit dem Vorschlaghammer.
Das Werk erreicht seine düstersten Momente, als die kleine Marie in Kriegsszenen involviert wird. Die Beschreibungen sind bedrückend und wirkungsvoll, auch wenn der Umschwung von einer friedlichen Geschichte über die Fragen des Lebens zu einem bitterbösen Buch über die Abgründe des Menschen recht überraschend und unvermittelt kommt.
Poetische Bildsprache
Dass „Das Mädchen, das die Welt veränderte“ trotz einiger Schwächen in der Darstellung und Handlung gut zu lesen ist, lässt sich auf Pecorellis poetischen und bildhaften Schreibstil zurückführen. Highlights sind die fantasievoll beschriebenen Momente, in denen Marie zu ihrem nächsten Ziel reist. Wenn Marie beispielsweise im „Lichtstrom des Regenbogens aufgeht“ oder das Gefühl hat „in einem Himmel voller Bunter Ballons zu schweben“. Trotz einer weitestgehend kindgerechten Sprache und Aufmachung ist die Zielgruppe sicher eher unter den Jugendlichen und junge Erwachsenen zu finden – die philosophischen Gespräche sind recht abstrakt und das letzte Drittel viel zu düster, als dass Kinder mit dem Werk zurechtkämen.
„Das Mädchen, das die Welt veränderte“ ist eine poetische und fantasievolle Umsetzung einer guten Idee und bietet den Lesern obendrein einen Crashkurs in die Grundlagen der Philosophiegeschichte. Vorlieb nehmen müssen die Leser allerdings mit dramaturgischen Schwächen, einer ausgeprägten Schwarz-Weiß-Mentalität und etwas zu dick aufgetragener Moral.
Das Mädchen, das die Welt veränderte. Alfonso Pecorelli. Fantasy. Riverfield Verlag. 2017. Dieser Text wurde zuerst vom Scheinwerfer veröffentlicht.
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