Ein Brief über Mut und Träume

von | 22.07.2014 | Gedankenkrümel, Kreativlabor

Benedict Wells schreibt auf seiner Facebook-Seite in einem offenen Brief an die Abiturientinnen und Abiturienten über Mut und Träume. Diesen Brief wollen wir mit euch teilen.

BRIEF AN SCHULKLASSE, ÜBER MUT UND TRÄUME

Ende 2011 las ich im Gymnasium Plochingen aus „Fast genial“. Vor einigen Monaten fragte die jetzige Abschlussklasse an, ob ich ein paar Zeilen für die Abizeitung beisteuern konnte. Ich war natürlich sehr geehrt, aber ich wusste lange nicht, was ich schreiben sollte. Irgendwann dachte ich: Ach, komm, schreib einfach etwas, was du als 18- oder 19jähriger selbst gern gehört hättest. Basierend auf einem Zitat des legendären Philosophen Ferris Bueller (siehe Foto).

Da inzwischen noch ein weiteres Gymnasium wegen etwas Ähnlichem angefragt hat, habe ich beschlossen, das ganze jetzt online zu stellen. Und vielleicht ist da draußen ja irgendjemand gerade mit der Schule fertig und freut sich über ein paar aufmunternde Zeilen.

„Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,

als ich gebeten wurde, ein paar Zeilen an euch zu schreiben, musste ich an das Ende meiner eigenen Schulzeit denken. Als Erstes fiel mir wieder ein, dass wir keine Abizeitung hatten. Entweder weil wir zu blöd waren oder weil wir zu faul waren, im Zweifel beides.

Doch vor allem erinnerte ich mich daran, dass uns damals tatsächlich niemand gesagt hat, dass wir mutig sein sollen. Meine Mitschüler und ich sprachen jahrelang von unseren Träumen und was wir im Leben machen wollten: mit Freunden oder allein reisen, ein Café eröffnen, mit der Band touren, schreiben, Filme machen, ein Jahr chillen, im Ausland leben, Sprachen lernen, fotografieren, nach Afrika gehen oder in Buenos Aires Ethnologie studieren. Jeder hatte so seine kleinen Ideen und Wünsche. Doch mit einem Schlag, mit dem Ende der Schulzeit, schienen das für die meisten nur noch Kindergeschichten gewesen zu sein. Alberne Spinnereien, die an der Realität zerschellten. An erfolglosen Unibewerbungen, am sanften Druck der Eltern, an der Angst, nicht wie alle anderen auf Sicherheit zu setzen. Plötzlich fanden sich viele meiner Freunde und Mitschüler in irgendwelchen fremden Städten wieder, studierten irgendwas, was sie gar nicht wollten, weil es eben alle taten. Die Zeit tickte, und es wurde immer schwieriger, noch auszubrechen.

Es gab damals diese panische Furcht, dass ein paar Lücken im Lebenslauf schrecklich sein könnten. Dass es falsch wäre, innezuhalten, nachzudenken und sich einfach mal die Zeit zu nehmen, die man brauchte. Denn nicht alle hatten das Glück, gleich zu wissen, was sie in ihrem Leben tun wollten.

Als ich das Abitur machte, gab es noch den Zivildienst und man hatte ein Jahr länger Schule. Heißt, ihr habt alle zwei Jahre mehr zur Verfügung als wir damals. Nutzt es. Und ich kann euch beruhigen: ich bin jetzt dreißig und es interessiert in meinem Alter wirklich keine Sau, was jemand bis Anfang oder Mitte zwanzig gemacht hat. Mit achtzehn glaubt man, keine Zeit verlieren zu dürfen. Und dabei tut man oft genau das: Man verliert mit die wichtigste, schönste Zeit in seinem Leben. Und die Freiheit das zu tun, was man will.

Ein Mitschüler von mir studierte sofort nach der Schule, in Regelstudienzeit. Er bekam gleich danach einen Job im Management eines Sportartikelherstellers. Wahnsinniges Gehalt. Doch beim Blick auf die glattpolierte Oberfläche seines Lebens wurde er todunglücklich. Wozu tat er das alles? Wofür brauchte er so viel Geld? Nach zwei Jahren bekam er Depressionen, dann warf er alles hin, reiste ein Jahr und studiert nun wieder etwas anderes, das zwar weniger lukrativ ist, ihn aber glücklich macht. Ein extremes Beispiel. Denn ein anderer hätte sich im gleichen Job wie er vermutlich verdammt wohl gefühlt. Einige Mitschüler von mir machten ebenfalls schnell Karriere und haben es nie bereut. Was ich damit sagen will: Jeder hat seine eigenen Maßstäbe, seine eigenen Ideen vom Leben. Es bringt nichts, einfach das zu tun, was die anderen machen. Man muss auf sich selbst hören, denn man kann sein Gewissen auf Dauer nicht betrügen.

Die Zukunft liegt jedenfalls ausgebreitet vor euch. Stellt euch vor, wie ihr mit vierzig seid, mit sechzig. Stellt euch vor, wie ihr mit achtzig auf euer Leben zurückblickt. Plötzlich relativiert sich vieles. Was sind da schon die paar Jahre nach der Schule. Stellt euch vor, was ihr eurem jetzigen Ich raten würdet und was ihr am Ende eures Lebens bereuen würdet, wenn ihr es nun nicht tut.

Bei den Fehlern, die ich gemacht habe, habe ich eins gelernt: Es ist immer besser etwas zu bereuen, was man getan hat, als etwas, was man nicht getan hat. Noch Jahre später quält einen das Mädchen, das man nicht angesprochen hat. Die Reise mit den Freunden, die man nicht unternommen hat. Die geheimen Träume und Pläne, die man nicht wenigstens mal versucht hat, sich zu erfüllen.

Es gibt nur dieses eine Leben. Und es gibt auch jeden von euch nur ein einziges Mal. Wenn ihr also einen Traum habt, etwas, was ihr unbedingt machen oder werden wollt, dann dürft ihr diesen Traum nicht loslassen. Man kann scheitern, zweifeln, pleite sein, man kann auch Angst haben. Aber man darf einfach nicht aufgeben. Denn was man immer wieder aufschiebt, macht man oft nie mehr. Und fast nichts ist dann schlimmer, als mit vierzig dazusitzen und sich voller Bitterkeit zu fragen: „Wieso habe ich es damals nicht wenigstens versucht?“

Ich habe deshalb eine Bitte an euch: Scheißt auf das, was alle machen und man euch einreden möchte. Hört den Leuten, die euch lieben, natürlich gut zu, aber gebt euch daneben auch die echte Chance, das zu machen, was ihr machen wollt. Versucht es zumindest einmal und traut euch. Denn ihr seid jetzt so frei wie vermutlich nie mehr wieder. Genießt es. Die ersten Jahre nach der Schule gehören nur euch. Lasst sie euch von niemandem wegnehmen.

Oder um die Filmfigur Ferris Bueller zu zitieren: „Das Leben zieht ziemlich schnell vorbei. Wenn du nicht ab und zu stehenbleibst und dich umsiehst, könntest du es verpassen.“

Ich wünsche euch alles Gute und viel Glück.
Und vor allem: Seid mutig!

Euer
Benedict Wells

Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.

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1 Kommentar

  1. Avatar

    Wie wahr 🙁

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