Diana Menschig

von | 11.09.2013 | Buchpranger, Im Interview, Stadtgespräch

…in meiner Brust schlagen nämlich zwei Herzen: ich liebe das Meer, die Nordsee und das Wilde, und zugleich die oberitalienischen Seen und das Gebirge und Hochgebirge.

Foto © Diana Menschig; dianamenschig.de *Klick*

Die Bücherstadt ist auch im Sommer gut besucht: Es verirrt sich immer wieder ein Wanderer in die kühlen Bücher-Zimmer des Bücherturms. Diana Menschig hat Zeit gefunden, ein wenig mit Bücherstädterin Erika zu plaudern.

BK: Wollen Sie sich unseren Lesern vorstellen? Sie können alles, was sie gerade loswerden wollen, in die Bücherstadt hinausposaunen.

DM: Ich bin Diana Menschig, seit 2009 selbständig und seit 2012 offiziell auch als freiberufliche Autorin tätig. Was wollen die Leute denn wissen?

BK: Ich glaube, unsere Leser sind insgesamt an Ihnen und vor allem Ihrem Werk interessiert. „Hüter der Worte“ war Ihr Debüt-Roman. Wie fühlt es sich an, das erste eigene Buch in den Händen zu halten? Das muss sehr spannend sein.

DM: Es ist mein erstes eigenes Buch – ich habe aber vorher bereits ein anderes Buch geschrieben, ein Ergänz-Projekt („Die Windprinzessin/The Storm Princess“, Langenscheidt 2011 – Anm. d. Red.). Um leichter ins Verlagsfeld zu kommen hat Momo Evers angeboten, das gemeinsam zu schreiben. Es ist ein Jahr vor „Hüter der Worte“ erschienen, darum ist das Gefühl auch etwas anders. Mein erstes Buch war also dieser Halbling – den ich zur Hälfte mitgeschrieben habe. Das war sehr aufregend. Beim „Hüter“ kam ich mir dann fast schon ein bisschen ‚erfahren‘ vor, auch wenn das wieder eine andere Welt ist.

BK: Ich fand beim „Hüter der Worte“ die Idee mit den beiden Parallelwelten faszinierend. Wie sind Sie darauf gekommen? Gab es einen ausschlaggebenden „Heureka“-Moment?

DM: So richtig nicht – es ist eine Idee, die sich über viele Jahre hinweg entwickelt hat. Ich bin vom Hintergrund her Diplompsychologin und habe mich eigentlich schon immer sehr dafür interessiert, wie es Menschen geht, warum sie bestimmte Dinge machen… Die Idee, dass eine Romanfigur lebendig wird, ist nicht neu – es gibt einen Haufen Bücher darüber. Was mich aber immer sehr daran gereizt hat, war: Wie geht’s denn eigentlich der Romanfigur damit? Was passiert mit der, wie findet sie das?

In sehr vielen Büchern lebt sie einfach damit und findet sich mit der Tatsache, mit der sie konfrontiert wird, ab. Ich habe mich in sie hineinversetzt und festgestellt: Ich hätte Probleme damit. Laryon geht es auch so: er kämpft sehr lange sehr intensiv dagegen an und kann die Situation überhaupt nicht hinnehmen.

Wie gesagt, die Idee ist dann über viele Jahre hinweg entstanden, das Konstrukt hat sich stetig weiterentwickelt.

BK: Wann hat sich die Idee denn etwa konkretisiert?

DM: So konkret kann ich das gar nicht sagen – die Grundidee ist bestimmt schon zwanzig Jahre alt. Das hat angefangen, als ich Mitte der Achtziger die „Unendliche Geschichte“ gelesen habe. Schon da habe ich begonnen, mir Gedanken zu machen. Aktiv geworden ist das aber erst irgendwo um 2006, 2007. Angefangen, es wirklich aufzuschreiben, habe ich im Januar 2009.

Da kann ich noch ergänzen: ich bin in den Jahren sehr viel mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, da hatte ich viel Zeit, nachzudenken. Ich lebe an der deutsch-niederländischen Grenze, die seit Ewigkeiten nicht mehr kontrolliert wird, man kann schon seit Jahren einfach hin und zurück. Wenn man mit dem Fahrrad im Wald unterwegs ist, kommt man an bestimmten Grenzmarken vorbei, an denen man den früheren Verlauf der Landesgrenze erkennen kann. Als ich an den Landmarken vorbeigekommen bin, sind irgendwann Bilder entstanden, die auch mit ins Buch mit eingeflossen sind.

BK: Kommen wir auf Willerin, Laryons Welt. Wenn Sie es sich aussuchen könnten, sehen Sie sich dort an einem bestimmten Platz?

DM: Ja und nein. Nicht einen bestimmten Platz. Die ganze Insel ist mit meinen Wunschorten verknüpft. Der Süden ist ein wenig an Irlands Cliffs und grüne Hügel angelehnt. Das Nordgebirge erinnert an die Dolomiten, und mittendrin gibt’s auch Gebiete, die meine Heimat wiederspiegeln – relativ flach und stark bewaldet.

Im Grunde ist es ein Wunschort, den ich mir zusammengebastelt habe – in meiner Brust schlagen nämlich zwei Herzen: ich liebe das Meer, die Nordsee und das Wilde, und zugleich die oberitalienischen Seen und das Gebirge und Hochgebirge. Willerin hat einfach alles.

BK: Mein Lieblings-Ort im „Hüter der Worte“ war die Halle. Ein Ort voller Geschichten – da muss man als Bücherstädter fast ein Sabberlätzchen umbinden.

DM: Die Halle ist einfach ein perfekter Ort, sie sieht für jeden anders aus. Da kann man sich viele Gedanken darüber machen: Wie sähe sie denn aus, wenn ich sie sehen würde? Es fließt eine unendliche Zahl an Möglichkeiten mit ein. Für mich hat die Halle auch etwas Unheimliches, weil sie so zeitlos ist und weil ich sie selbst nicht ganz verstehe. Sie ist schwer greifbar – wie es funktioniert, wie man dort schreibt, habe ich bewusst im Unklaren gelassen.

Hängt man es ganz hoch, ist die Halle das Paradies und der Erzähler Gott. Wenn man religiös ist kann man das gleichsetzen. Bleiben wir bei dem Bild, sind die Worthüter Schutzengel, und sie haben auch gewisse schützende, hütende Eigenschaften – das Wort ‚Schutz‘ war mir zu stark, darum sind sie ‚Hüter‘.

BK: Gibt es einen Charakter, der Ihnen beim Schreiben besonders ans Herz gewachsen ist?

DM: Ich fange umgekehrt an: der Charakter, der mir beim Schreiben am wenigsten am Herzen lag, war Tom – Tom Schäfer. Als ich dann in manchen Leserunden gehört habe, dass er am Anfang des Buches sehr unsympathisch ist, hat mir das doch erstaunlich wehgetan, das lag nicht in meiner Absicht. Anfangs muss er ein bisschen unsympathisch sein, aber eher als Quälgeist oder der nervige kleine Bruder, nicht als Kotzbrocken. So ist er aber tatsächlich bei manchen Lesern angekommen.

Der Charakter, der mir am meisten am Herzen lag, war wiederum Nolan. Für mich war relativ früh klar, was mit ihm passieren würde. Das hat mich auch emotional mitgenommen. Er ist der Charakter mit der interessantesten Geschichte, ein paar Geheimnissen um seine Person, die ich nicht auflöse, aber selbst wiederum kenne. Das macht meine Beziehung zu ihm besonders.

BK: Apropos unaufgedeckte Geheimnisse – wird es denn auch eine Fortsetzung geben oder bleibt „Hüter der Worte“ ein für sich stehendes Werk?

DM: Das ist eine sehr schwierige Frage, weil die Geschichte für mich beendet ist – der Leser hat mehr oder minder verstanden, wie die Worthüter-Welt funktioniert. Die Frage für mich bliebe: wie könnte man Spannung aufbauen? In der Fortsetzung müssten Worthüter und Wortgestalt ‚in Anwendung‘ auftreten – das kann ich mir nicht als interessant vorstellen, der Leser könnte nichts mehr entdecken. Andererseits gibt es ein paar kleine Geschichten, die ich gerne noch erzählen würde – das macht aber kein Buch aus. Darum überlege ich im Moment, ein kleines Add-On, etwa ein E-Book, mit Geschichten aus der Worthüter-Welt herauszubringen.

BK: Sie bloggen auch viel. Ich bin zum Beispiel über den Blog worthueter.de gestolpert, wo Sie in die Rolle von Tom selbst schlüpfen.

DM: Es gibt momentan insgesamt drei Blogs:

Seit April 2013 gibt es offiziell meine Homepage, dianamenschig.de oder seitenrauschen.de – das ist dasselbe. Seitenrauschen soll mich als Autorin und mein Werk präsentieren. Es ist ein Werkstattblog, auf dem ich meine aktuellen Arbeiten vorstelle.

Tom (worthueter.de, Anm. d. Red.) ist ein Stück weit fiktiv – da gibt es mich als Person nicht.

Und dann gibt es einen ganz alten Blog (dina.bannkreis.de), den ich seit 2006 mehr oder weniger regelmäßig führe. Der ist ganz und gar privat, und ihn lesen, glaube ich, auch wirklich nur Freunde und Verwandte. Es ist ein Feld-, Wald- und Wiesen-Blog, wann auch immer ich das Bedürfnis habe, über etwas zu schreiben. Da findet sich alles und nichts, man kann ihn thematisch nicht einordnen.

BK: Ich habe auf einem der Blogs gelesen, dass viel zum Thema Rollenspiele auch von Ihnen selbst eingeflossen ist. Das bringt mich auf die Frage: Was denken Sie über virtuelle Welten?

DM: Das ist etwas, womit ich mich auch wissenschaftlich beschäftige. Ich bin in der Gesellschaft für Fantastikforschung und werde zum Thema auch einen Vortrag (im Rahmen einer Tagung, Anm. d. Red.) halten. Für mich hat dieses sich-Befassen mit virtuellen oder phantastischen Welten nichts mit Eskapismus und Realitätsflucht zu tun. Für mich ist es eine wunderbare Möglichkeit, meine Freizeit zu verbringen. Ich finde es einfach, mich in eine andere Person und Realität hineinzuversetzen. Ich mache Rollenspiele seit insgesamt 22 Jahren, habe aber auch vorher schon Theater gespielt und mir phantastische Bücher wie die „Unendliche Geschichte“ vorgenommen. Mir macht es schlicht und einfach Spaß – ich bin froh, dass ich das Hobby zum Beruf machen kann, mir ist aber immer die Grenze absolut bewusst. Letzten Endes ist die Realität das, in dem ich lebe.

Gerade das Internet bietet eine unglaubliche Spielwiese, Realität und Phantastisches zu durchmischen. Das Internet ist außerdem eine großartige Möglichkeit, das Buch in Foren und online bekannt zu machen, und das habe ich auch recht intensiv gemacht. Bis zu dem Zeitpunkt wusste ich auch nicht, wie viele Bücher-Communities es gibt. Ich habe das Gefühl, es geht jeden Tag etwas Neues an den Start – aber man merkt auch, wenn eine Seite eine gewisse Reichweite hat. Man wird auch darauf angesprochen. Das finde ich toll! Überhaupt der Austausch mit Lesern, die einem sagen können, „das war toll und das weniger und kannst du nicht mal das und das…“

BK: Es kann einen auch zur Verzweiflung treiben, oder? Testleser etwa, die Sie bei worthueter.de erwähnen.

DM: Testleser sind nochmal etwas Anderes. Es wird der Erstkontakt mit Lesern gesucht. Oliver Plaschka und ich haben uns für seine Webseite gegenseitig interviewt und sprechen dabei auch darüber, wie man mit dieser Erstkritik umgehen kann.

Man ist schon etwas nervös: Wie kommt die Geschichte an? Interessiert das jemanden? Ich finde das wesentlich aufregender als wenn das Buch dann erscheint – ist es gedruckt in den Bücherläden, haben verschiedene Leute darüber gelesen und man weiß, man ist nicht allein.

BK: Gibt es ein Schreib-Ritual oder einen Ort, an dem Sie sich zum Schreiben zurückziehen?

DM: Nein, so etwas habe ich gar nicht. Ich bin sehr nüchtern beim Schreiben – ich will es auch nicht irgendwo gemütlich, sondern ganz banal auf einem Schreibtischstuhl. Das einzige, was sich im Laufe der Zeit verändert hat, ist, dass ich einen riesengroßen Monitor habe, wo ich weitere Dokumente mit Personenbeschreibungen und sowas geöffnet habe.

Ich habe eigentlich selten Schreibblockaden wie Tom sie durchgemacht hat. Ich muss mich eher zum Aufhören zwingen, und da gibt es zum Glück noch meine zwei Hunde, die nach draußen wollen.

BK: Haben Sie als freiberufliche Autorin auch einen geregelten Tagesablauf?

Ich bin Frühaufsteherin, und gehe relativ früh an den Schreibtisch, mache irgendwann Mittagspause, höre gegen fünf, sechs Uhr abends auf und setze mich dann vielleicht nochmal abends gegen acht oder neun zum Kontrolllesen an den Rechner.

Neben meiner Tätigkeit als Autorin arbeite ich auch als Dozentin, auch das – wenn ich gerade nicht schreibe – will vorbereitet werden.

BK: Uns bleiben noch unsere Bücherstadt Kurier-Fragen, die wir an jeden Interviewten stellen. Wenn Sie ein Buch wären, was für eines wären Sie?

DM: Hm. Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Ein sehr dickes und zum Teil sehr wirres Buch, das nicht jeder versteht.

BK: Welche Frage wollten Sie schon immer in einem Interview gestellt bekommen?

DM: Mir wurden schon so unglaublich viele gestellt. Anfangs habe ich lange auf die Frage gewartet, die sehr lange nicht gestellt wurde: Warum ich als Frau lieber über Männer schreibe.

BK: Und wie haben Sie sie beantwortet?

DM: Im Fall von „Hüter der Worte“ stellte sich die Frage nie: Laryon hat es in meiner Fantasie immer schon gegeben, er war immer ein Mann und Tom hat sich davon ausgehend als Mann entwickelt. Ich habe mir auch später in der Worthüter-Welt Gedanken darüber gemacht, ob es ein Unterschied ist, wenn der Worthüter ein Mann und die Wortgestalt eine Frau ist oder umgekehrt. Das ist eine Frage, die im Buch nicht beantwortet wird. Sie klingt zwar an, in der Figur von Melanie, die zwei männliche Wortgestalten führt – ich habe mich da tatsächlich gefragt, was passieren würde, wenn sich dann zum Beispiel ihre Wortgestalt Fynn in sie verlieben würde. Das wäre dann eine Frage, die ich in der Fortsetzung beantworten könnte. Für dieses Buch war mir aber wichtig, dass das ausgeklammert wird, auch im Hinblick auf verschiedene Sexualitäten.

Ich beantworte die Frage deshalb so ausführlich, weil die Verlagslektorin angefragt hatte, ob Laryon weiblich sein könne, weil es im Buch zu wenig weiblichen Anteil gäbe. Das ist für mich unvorstellbar – weder für den Charakter, noch für die Beziehung zu Tom. In diesem Schritt der Überarbeitung hat die Figur Melanie (Mellie) dann einen größeren Stellenwert bekommen als vorher.

Herzlichen Dank an Diana Menschig für die Zeit und das Interview!

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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