Der kleine König Dezember

von | 04.02.2014 | Belletristik, Buchpranger

Was wäre, wenn wir unsere Kindheit am Ende des Lebens hätten?

Axel Hackes „Der kleine König Dezember“ erschien erstmals 1993 im Kunstmann Verlag und enthält Illustrationen von Michael Sowa. Die Geschichte handelt von einem König, der so klein ist wie ein Zeigefinger und so fett, dass sich sein Mantel vor dem Bauch nicht mehr schließen lässt. Am liebsten isst er Gummibärchen und unterhält sich mit dem Ich-Erzähler.

Oft fragt er diesen, ob er nicht etwas aus seinem Land erzählen könnte. Einmal antwortet der Erzähler: „Bei uns wird man klein geboren, und dann wird man immer größer, manchmal so groß wie ein Basketballspieler. Zum Schluß schrumpft man wieder ein bißchen ein. Dann kommt der Tod, und man ist weg.“ Das findet der kleine König unlogisch und fragt, warum es nicht genau andersrum sei, in seinem Land sei es so: Man wird ganz groß geboren und dann schrumpft man, bis man verschwindet.

Der Erzähler kann sich so etwas natürlich nicht vorstellen, denn wie könnte man groß geboren werden? Wie sollte das möglich sein? In der Welt des kleinen Königs ist so etwas möglich, denn die Menschen dort wachen eines Tages einfach in einem Bett auf und gehen direkt zur Arbeit. Vom ersten Tag ihres Lebens an können sie alles: essen, gehen, lesen, schreiben, arbeiten. Aber von Jahr zu Jahr werden sie kleiner und vergessen immer mehr. Wenn sie nicht mehr zur Arbeit gehen können, dürfen sie zu Hause bleiben und Dinge tun, auf die sie Lust haben. „Je kleiner einer ist, desto mehr ist er Bestimmer, weil… weil er ja die größere Lebenserfahrung hat.“ Und die großen müssen ihm alle Fragen beantworten. Der Erzähler ist wahrlich verwundert: eine Kindheit am Ende des Lebens? Der kleine König versichert ihm, dass man auf diese Weise etwas hat, worauf man sich sein Leben lang freuen kann.

Was ist Traum, was Wirklichkeit? Der kleine König definiert es auf seine ganz eigene Weise: „Also, du schläfst morgens ein und träumst den ganzen Tag, daß du ein Insbürogeher bist und daß du arbeitest, arbeitest und arbeitest. Und abends, wenn du ins Bett gegangen bist, wachst du auf und bist die ganze Nacht, was du wirklich bist. Mal ein Pilot und mal ein Ruderer und mal ein Wasweißich. Ist es nicht besser so herum?“

Was wäre, wenn? Die Gedanken, die in diesem Buch geäußert werden, sind sehr interessant geschrieben und bringen einen dazu, sich das eigene Leben auch mal ganz anders vorzustellen. Der kleine König wirkt mit seinen Aussagen so weise, dass man sich wünscht, die Geschichte würde noch lange so fortfahren. Aber leider ist diese schon nach 59 Seiten zu Ende. Ein kleiner Trost sind die wundervollen Illustrationen von Michael Sowa, die die Gedanken und Gefühle verdeutlichen, aber trotzdem noch genug Interpretationsfreiraum lassen. „Der kleine König Dezember“ ist ein wahrlich einzigartiges Werk.

Zeichensetzerin Alexa

Der kleine König Dezember. Axel Hacke. Illustrator: Michael Sowa. Kunstmann Verlag. 1993.

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

2 Kommentare

  1. Avatar

    Nicht ganz einzigartig, was dieses spezielle Thema betrifft.
    Vielleicht hat der Fantasy-Roman „Alt geboren“ (Originaltitel „Otherborn“), den Joan Gould 1980 bei Coward, McCann & Geoghegan veröffentlichte, nicht zu Bekanntheit gebracht, denn das Buch wurde in nur einer einzigen Auflage 1995 im Wilhelm Heyne Verlag in deutscher Sprache herausgebracht, aber auch dieses ist sowohl faszinierend als auch sehr berührend.

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  2. Bücherstadt Kurier

    Ein ähnliches Thema wird auch im Film „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ behandelt. In diesem wird das Kind auch alt geboren und über die Jahre immer jünger. Wer sich für dieses Thema interessiert, dem sei dieser Film ans Herz gelegt. Ich finde aber, die Art und Weise wie das Thema in „Der kleine König Dezember“ verpackt wurde, einfach einzigartig!

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