Aus dem skurrilen Tagebuch eines jungen Doktors

von | 02.06.2015 | Belletristik, Buchpranger, Filmtheater, Serien

Bulgakows „Arztgeschichten“ auf dem Bildschirm: „A young doctor’s Notebook & other stories – Aus dem skurrilen Tagebuch eines jungen Doktors“. Schon der Untertitel verrät, in welche Richtung sich die filmische Umsetzung bewegen wird – und das ist eine etwas andere als im Buch.

Es ist 1917 als der junge Arzt Vladimir Bomgard (Daniel Radcliffe) nach seinem abgeschlossenen Studium eine Stelle in einem Dorf erhält. Ein Kaff, weit und breit kein anderes Krankenhaus, die Versorgung ist schlecht, die Menschen müssen Kilometer weit laufen, um zu ihm zu gelangen. Obwohl er mit 15 Bestnoten bestanden hat, fehlt es dem jungen Arzt an Erfahrung. Unbeholfen wirkt sein Auftreten seinen neuen Kollegen gegenüber: der Krankenschwestern Pelageya (Rosie Cavaliero), die einen einschüchternden Eindruck macht, und Anna (Vicki Pepperdine), die jede Gelegenheit nutzt, um seinen Vorgänger Leopold Leopoldowitsch zu loben. Der vierte im Bunde ist der Fledscher (Adam Godley). Er ist wie das Bindeglied aller Beteiligten, wenn auch nur unbewusst.

Der Ernst des Lebens

Bereits bei seiner Ankunft muss sich Bomgard beweisen. Immerhin zählt der erste Eindruck. Doch schnell muss er feststellen, dass seine neuen Kollegen enttäuscht sind, verwirrt über seine Jugendhaftigkeit und Größe, auf die im Laufe der Serie immer wieder angespielt wird. Die Tatsache, dass der große Leopold Leopoldowitsch einen beachtlichen Bartwuchs hatte, Bomgard aber nur ein paar Stoppeln aufweisen kann, macht ihm zu schaffen.
Der Druck, unter dem er steht, ist groß, will er doch wie ein Arzt respektiert werden. Doch anfangs will es ihm nicht so recht gelingen. Nur mit Mühe schafft er es das Bein eines sterbenden Mädchens zu amputieren, eine schwangere Frau zu entbinden, ein Luftröllchen einzubauen. Die Szenen im Operationssaal sind dabei so skurril blutig, schauderhaft, oftmals makaber, dass man nicht hinschauen mag. Die Art und Weise wie die Geschichte erzählt wird, lädt jedoch ein, die Situationen nicht allzu ernst zu nehmen.

Das zukünftige Ich und das Morphium

Begleitet wird Bomgard von seinem immer wieder auftauchenden älteren Ich (Jon Hamm), das aus dem Jahre 1934 kommt. Der ältere Bomgard ist ein erfahrener Arzt und hat bereits viel Ruhm und Ehre genossen. Nun steht er vor den Trümmern seinen Lebens und versucht sein jüngeres Ich vor einer Dummheit zu bewahren: Als der Stress zu groß wird, beginnt der junge Bomgard Morphium zu nehmen. Auf den Geschmack gekommen, will er nicht mehr darauf verzichten, bis sich seine Gedanken nur noch darum drehen, wie er das Morphium beschaffen kann. Das führt so weit, dass der junge Arzt beginnt, den Patienten Morphium vorzuenthalten – was in ihrer Lage bei Medikamentenknappheit und fehlender Narkosemittel ein schweres Vergehen ist. Bomgard jedoch ist in seiner Welt so gefangen, dass er sich weder um seine Mitmenschen kümmert noch um seine Zukunft. Diese wird durch das Auftreten seines zukünftigen Ichs dargestellt: Immer mehr leidet der ältere Bomgard, bis er – gezeigt im Szenenwechsel zwischen Gegenwart und Zukunft – einen Entzug machen muss.

Buch vs. Serie

Die Serie, die aus 2 Staffeln besteht und 8 Episoden beinhaltet, greift auf die „Arztgeschichten“ Michail Bulgakows zurück, nimmt sich jedoch auch das Recht der kreativen Freiheit. Hier werden die Erzählungen überspitzt umgesetzt, Schwerpunkte neu gesetzt, weitere Szenen dazu erfunden. Das in der Serie dargestellte zukünftige Ich existiert in der literarischen Vorlage gar nicht, das Morphium nimmt in der Serie eine viel wichtigere Rolle ein als in den Erzählungen. Gefühle werden deutlicher dargestellt, der Spannungsbogen wird durch erweiterte Szenen gehalten. Sogar das Selbstbewusstsein und das Auftreten des jungen Arztes ist anders: In der Serie unerfahren, im Buch von Anfang an erfahren und respektiert.

Buch und Serie stehen sich diesmal nicht gegenüber, sondern ergänzend zueinander. Keines der beiden Werke möchte man missen – weder das literarische, das durch seine sprachliche Dichte besticht, noch die filmische Umsetzung, die mit skurrilen, sarkastischen Bildern überzeugt. Während diese einen künstlerischen Anspruch haben, enthalten die „Arztgeschichten“ autobiografische Spuren. Am Ende des Buches findet sich ein Zeugnis, in dem bescheinigt wird, dass Bulgakow in den Jahren 1916 und 1917 als leitender Arzt gearbeitet hat. Außerdem wird angegeben, welche Operationen er ausgeführt hat. Diese finden sich auch in seinen Erzählungen wieder.

Alexa

Buch: Arztgeschichten, Michail Bulgakow, Thomas Reschke (Übersetzung), Luchterhand, 2009, Leseprobe | Serie – Staffel 1: A Young Doctor’s Notebook, Jon Hamm, Daniel Radcliffe, ca. 100 Min., FSK: 16, UK, 2012, Polyband | Staffel 2: ca. 88 Min., 2013

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