In seinem neuen Roman „Komm in den totgesagten Park und schau“ fühlt André Kubiczek der politischen und gesellschaftlichen Gegenwart Deutschlands auf den Zahn. Mit den Protagonisten ist Worteweberin Annika in eine Hütte in der Pampa gekommen und am Ende ist sie sich nicht mehr sicher, was Wahrheit ist und was nicht.
Die Apokalypse bricht bei Kubiczek gleich über drei Figuren herein: Felix, seinen Vater Marek und dessen Kollegen Veit. Alle drei sind auf ihre Weise unzufrieden – mit der politischen und auch mit der persönlichen Situation. Um seiner Klassenkameradin Nina zu gefallen, lässt sich Felix betrunken und bekifft zu einer unüberlegten Straftat hinreißen. Als am nächsten Tag die Polizei vor der Tür steht, haut er ab nach Berlin. Zu seinem Vater Marek, von dem er fast nichts weiß, außer dass er als Literaturdozent arbeitet.
Zwei Akademiker auf Abwegen
Veit, früher Mareks Student und inzwischen sein Kollege, steckt seit Jahren in seiner Doktorarbeit fest. Sein Stipendium wird bald auslaufen, doch über die Vorarbeiten ist er noch nicht hinausgekommen. Er ist frustriert und gewinnt nur aus rechten Hasskommentaren, die er im Netz veröffentlicht, Selbstvertrauen. Doch eine Studentin kommt ihm auf die Schliche…
Marek lebt inzwischen mit seiner zweiten Familie zusammen, der südamerikanischen Adriana und zwei pubertierenden Adoptivtöchtern, für die er damals Felix, seine Schwester und die Mutter der beiden verließ.
„Adriana, der zuliebe ich ja genau genommen erst in diesen Schlammassel geraten war. Adriana, die kompliziert ist und gleichzeitig simpel, die meine Rettung war, aber gleichzeitig auch der Untergang unserer alten
OrdnungFamilie, Felix.“ (S. 88)
Es läuft aber auch in der neuen „Ordnung“ nicht rund, das Jugendamt hat sich eingeschaltet, weil die jüngste Tochter Probleme macht und Marek verliert die Kontrolle. Schließlich scheint der letzte Ausweg ein Besuch mit Blumen und Pralinen bei der zuständigen Beamtin des Jugendamts, Frau Reimers-Schallert, zu sein. Der Besuch jedoch eskaliert wegen Veits Eingreifen, und bald sind die beiden auf der Flucht vor der Polizei. Kurz bevor sie Berlin verlassen wollen, treffen sie auf Felix und so machen sich die drei auf den Weg in die Pampa, möglichst weit weg von allen Problemen und landen schließlich in einer Hütte im Nirgendwo.
Scharfsinnige Gegenwartsbetrachtungen
Hass im Netz, Echokammern, Wutbürger, linksextreme jugendliche Gewalt, Verfall der Städte in der ostdeutschen Provinz: In seinem neuen Roman greift Kubiczek diese und andere Themen unserer Gegenwart auf, während es in seinem letzten Roman „Letzten Sommer“ (2016) noch um die Jugend in der DDR ging. Was gleich bleibt, ist der verständnisvolle, authentische Blick nicht nur auf Jugendliche, sondern auch aus deren Augen. Der Titel „Komm in den todgesagten Park und schau“ stammt übrigens aus einem Gedicht von Stefan George. Passend, da Marek Spezialist für Lyrik ist – einer Literaturform, die heute fast schon aus der Mode gekommen zu sein scheint und ganz weit weg liegt von dem, was den Protagonisten im Roman widerfährt.
Mareks und Veits Geschichte erinnert teilweise an die typische Campus Novel. Den alternden Dozenten mit familiären Problemen und einer gehörigen Midlife-Krise skizzierte 2017 auch Jonas Lüscher in seinem mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichneten Roman „Kraft“. Kubiczek gelingt es aber im Gegensatz zu Lüscher, nicht im jammernden Wehklagen steckenzubleiben. Er ordnet Mareks Lebenskrise in einen größeren Kontext ein und behält sich gleichzeitig einen teils ironischen, gleichzeitig scharfsinnigen Ton bei.
„Oder kürzer gesagt, was Veit Stark wusste, war lediglich eines: Die Apokalypse Deutschlands nahte, wenn auch vorerst nur auf schleichenden Birkenstock-Sohlen. Im Nordic-Walking-Tempo, sozusagen.“ (S. 173)
Briefeschreiben
Mareks und Felix‘ Geschichte werden jeweils aus der Ich-Perspektive erzählt, in Form von Briefen. Felix schreibt an seine Liebe Nina. Marek versucht Felix aufzuschreiben, wie es zu seinem Schlammassel kam. Veits Teil der Geschichte hingegen wird von einem personalen Erzähler dargestellt, so dass zu ihm einerseits mehr Distanz aufgebaut wird. Gleichzeitig sind die Schilderungen über seine Figur die einzigen, denen man uneingeschränkt trauen kann, denn am Ende des Romans werden einige Sicherheiten in Frage gestellt.
Typisch für das Briefeschreiben sind die für „Komm in den totgesagten Park und schau“ charakteristischen Durchstreichungen und Unterstreichungen, die zeigen, welche Wahrheiten die Figuren den Adressaten der Briefe verschweigen wollen.
„Reise klingt nach
AbenteuerKalkül. Flucht klingt nach Niederlage. Und weil ich kein Opfer sein will, sage ich Reise, statt Flucht. Das ist eine Frage der Haltung.“ (S. 17)
André Kubiczeks „Komm in den totgesagten Park und schau“ ist ein gut beobachtender Roman unserer Gegenwart, der auch durch typografische und stilistische Besonderheiten überzeugt. Wie die Gestaltung des Titelblatts schon nahelegt: Dieser Roman ist explosiv – und eine wahre Freude!
Komm in den totgesagten Park und schau. André Kubiczek. Rowohlt Berlin. 2018.
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