Erleuchtung
Waldemar Popow schloss das siebte Rentier an das Kabelnetz aus Timern und Verlängerungstrommeln an. Jetzt leuchtete sein kleiner Vorgarten wie eine Märchenlandschaft des Schreckens: Der Zaun hatte grüne Lichtpusteln an der Bambusblickschutzmatte, dazwischen wanden sich rote Neonseile um die Gitterstäbe und auf jeder Pike saß ein Schneemann, die schwarzen Knopfzähne zu einem manischen Lächeln verzogen.
Waldemar mochte die Schneemänner. So von unten angestrahlt saugte ihre wattige Oberfläche alle Farben auf wie Schnee, der auch alles in sich aufnahm: das Gelbe von Hunden, das Braune vom Dreck, das Rote von einer Meinungsverschiedenheit.
Murka war kein Hund und machte deshalb den Schnee nie gelb, nicht in Waldemars Vorgarten zumindest. Sie hinterließ nur kleine Pfotenspuren entlang des Zauns bis zum Loch in der Bambusmatte. Wenn viel Schnee lag, ging sie gar nicht raus. Aber gerade lag auch kein Schnee.
Stattdessen steckten die sieben Rentiere mit den Hufen im frosterstarrten Rasen und mit dem Geweih in den Sternen. Sie zogen keinen Schlitten und auch keinen dicken Mann – dieser war Waldemar zu amerikanisch und kam ihm deshalb nicht richtig vor. Der echte dicke Mann in Waldemars Kopf war gar nicht dick, trug Blau und Weiß und kam an Silvester zusammen mit seiner hübschen, blonden Enkelin im schneekalten Glitzer.
Die Rentiere aber waren okay. Die hatten etwas Winterliches an sich.
Während Waldemar so dastand, trat Murka lautlos an seine Seite. Sie hatte nichts übrig für seine Winterlandschaft, dafür umso mehr für seine Beine, um die sie gerne strich oder indem sie ihnen einfach im Weg saß. Waldemar bückte sich und kraulte Murka hinter dem Ohr. Dann warf er nochmal einen bewundernden Blick auf sein Werk.
Der Garten schillerte wie eine Landebahn für Engel. „Wo Licht ist, ist auch Schatten“, sagte man. Waldemar sagte sich: „Wo mehr Licht ist, ist irgendwann auch kein Schatten mehr.“ Grundsätzlich hatte Waldemar aber nichts gegen Schatten. Er fand nur das Licht hübscher.
Murka krächzte ein „Meh“ zu ihm hoch. Er nickte ihr zu, klopfte seine Pantoffeln an der Rauhaarfußmatte ab und ging in die Küche. Hinter ihm, im Nachbarhaus, ratterten die ersten Fensterblenden herunter. Es störte Waldemar nicht, dass die Schlafqualität seiner Nachbarn unter seiner Erleuchtung litt: Sie würden sich eh nie beschweren. Dafür war er ein zu großer Mann und sah zu furchteinflößend aus. Es störte ihn aber nicht. Seine Lichtrentiere hatten keine Angst vor ihm. Die gepfählten Schneemänner ja auch nicht.
In der Küche schnitt er für Murka zwei Scheiben Salami ab. Für sich nahm er den Rest der Stange mit und eine Scheibe Brot – mehr gab der Kühlschrank auch nicht her. Waldemar setzte sich an seinen Tisch für zwei, auf dem eine silberweiße Bonsaiplastiktanne stand, mit zurechtgebogenen Zweigen und bunten Glaskugeln zwischen dem Lametta. Um 18 Uhr, wenn der Haupttimer im Wohnzimmer den Garten in gleißendes Licht warf und alle Engel verschreckte, begann auch der Tannenbaum zu blinken. Murka sprang auf den Tisch und zerkaute – ein Auge zukneifend – die Wurst, während Waldemar von der Salami abbiss und nachdenklich hinausschaute zu seinem lichtzuckenden Garten.
Später tunkte er süßen Zwieback in den schwarzen Tee und dachte sich, wie schön sie doch war, diese Erleuchtung, von der alle sprachen.
Arina Molchan
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