Advent, Advent, ein Triebwerk brennt!
„Was um alles in der Galaxis …?“, schrie Natala, als sie von dem Ruck nahezu von ihren Füssen gerissen wurde. Mit einiger Mühe stolperte die stämmige, dunkelhäutige Weltraumschmugglerin auf die Brücke des alten Frachters und liess sich auf den Kommandosessel fallen. „Dan, wieso stürzen wir ab?“
Der Pilot, ein chinesisch-europäischstämmiger Mann mit zum Pferdeschwanz gebundenem Haar, hielt den Joystick fest umklammert, er kämpfte verbissen mit der manuellen Steuerung. „Wegen der Gravitation, Captain, es ist immer die verdammte Gravitation schuld!“
„Das habe ich nicht gemeint und das weisst du, verdammt nochmal!“ Natala warf einen Blick durch das Brückenfenster und konnte erkennen, wie die Wolkendecke rasch näherkam. „Bei dem Tempo schlagen wir in zwei Minuten auf der Planetenoberfläche auf, kannst du uns bis dahin stabilisieren?“
„Fifty-fifty“, stiess Dan heraus, weiter mit dem Schiff um Kontrolle rangelnd, das eben durch die Wolken brach und nun damit begann, um sich selbst zu rotieren. Natala konnte nun unter ihnen einen verschneiten, bewaldeten Landstrich erkennen, der rasch näherkam. Sie wollte sich eben erkundigen, ob sie sich mit ihrem und dem Tod ihrer Crew abfinden sollte, als Dan hinzufügte: „Wenn ich die Laderampe öffne, kriegen wir genug Luftwiderstand. Dann sollte es reichen!“
„Die Fracht ist schlecht gesichert, du weisst, was das heisst, oder? Wenn wir dabei die Ladung verlieren, werden wir nicht bezahlt und ein weiterer Kunde will uns umbringen!“
„Wenn wir abstürzen, werden wir genauso wenig bezahlt, weil uns der Unfall umgebracht hat“, gab Dan zurück während Natala die Laderampe öffnete. Sie wusste, er hatte Recht, nur musste es ihr deswegen noch lange nicht gefallen. Unter ihnen erklang aus dem Frachtraum gedämpft das hydraulische Quietschen der sich öffnenden Rampe und Natala seufzte erleichtert auf, als die wahnsinnige Rotation tatsächlich aufhörte. Sie würden es vermutlich auch diesmal überleben.
„Was für eine Scheisskälte!“, schmollte Stanley und versuchte, seine Hände in den Ärmeln der dicken Winterjacke verschwinden zu lassen. Der blonde, braungebrannte erste Maat des Schiffes wirkte von der Aussicht auf den verschneiten Wald wenig begeistert, nervte sich aber noch mehr über die Person, die neben ihm stand: „Zieh dir verdammt nochmal was an, Mädchen!“
Anaata musterte irritiert ihren gepunkteten Pyjama sowie ihre nackten Füsse auf dem eiskalten Metallboden, ehe sie trotzig mit ihrer Kaffeetasse gestikulierend entgegnete: „Ich bin Passagierin und gerade erst wegen eurer Luftakrobatik aufgewacht, also habe ich sicher nicht auf Befehle von dir zu hören.“ Die Koreanerin verstummte, zündete sich umständlich eine Zigarette an und wandte sich dann ruckartig zurück ins Innere des Schiffes. „Andererseits frieren meine Zehen gerade ab, ich glaube, ich ziehe mir was an.“ Damit huschte sie von dannen und Stanley fasste sich die Augen verdrehend zur Stirn. „Echt jetzt, ein Frachter voller Wahnsinniger.“
„Beschwerst du dich mal wieder über die Promise?“, erklang hinter ihm Natalas Stimme. Auch der Captain hatte einen warmen Parka angezogen, was angesichts der schneebedeckten Tannen vor der geöffneten Laderampe kaum zu verwundern vermochte. „Sie ist ein gutes Schiff. Nun ja, wenn ausnahmsweise kein Triebwerk brennt.“
„Also, was ist unser Status?“, wollte Stanley wissen und deutete mit einer vagen Handbewegung in den Laderaum hinter ihnen. „Offenbar wurde unsere ganze Ladung Feenstaub herausgerissen.“
„Dass wir die Drogen verloren haben, ist noch der beste Teil“, murrte Natala. „Das Steuerbordtreibwerk hat ziemlichen Schaden genommen und ein paar virtuelle Relais sind explodiert, die unser Mechaniker nicht als Ersatzteil hat. Ich schlage vor, wir marschieren ins nächste Dorf und versuchen da, die nötigen Teile zu kaufen.“
Erschöpft stapfte Natala der Gruppe voran durch den Wald auf die kleine, eingeschneite Siedlung zu. Wie auf nahezu jeder Randwelt sah auch dieses Kaff ärmlich, altmodisch und sehr schlicht aus: Rauch quoll aus den Schornsteinen der Blockhütten, nur waren wider Erwarten dutzende Anwohner auf dem Dorfplatz versammelt und starrten in den Abendhimmel, aus dem Schneeflocken nach unten tanzten. Die Schmugglerin wandte sich zu ihren beiden Begleitern um: Die Leute hier verhalten sich komisch, vielleicht gehören sie zu irgendeinem religiösen Kult oder so. Überlasst mir das Reden, ja?“
„Als ob das klappen würde, wenn Anaata dabei ist – sie stellt sicherlich irgendwelchen Blödsinn an“, meinte Stanley trocken. „Vielleicht werden wir gelyncht, weil sie Relais findet und klaut, wer weiss!“
„Ich hätte sie ja nicht mitgenommen, doch sie läuft mir blöderweise hinterher!“, beschwerte sich Natala. „Als ob der Tag nicht noch mühsamer werden könnte.“
Die Einbrecherin, die eigentlich nur als Passagierin mit der Crew reiste, gab sogleich ein protestierendes Geräusch von sich: „Ich brauche manchmal auch etwas Bewegung. Ich werde schweigen, versprochen.“
„Das glaube ich erst, wenn ich es sehe“, warf Stanley ein, als sie bei den Dorfbewohnern anlangten und Natala sogleich grüsste. „Guten Abend, werte Bürger. Könnt ihr uns weiterhelfen?“
Mehrere in glückseliger Ekstase verzückte Gesichter wandten sich ihnen zugleich zu: „Heiligen Abend, edle Reisende. Habt ihr die frohe Kunde bereits erfahren?“
„Die Kunde von was?“, wollte Natala skeptisch wissen.
„Heute ist uns der Leitstern zu Mittwinter erschienen und wir wurden alle mit göttlicher Glückseligkeit erfüllt“, rief der Dorfälteste und wirbelte dazu um die eigene Achse, als wäre er ein kleiner Junge. „Der Auserwählte wird diese Welt besuchen.“
„Leitstern?“, wollte Stanley verwirrt wissen. „Bis eben war Tag und es ist bewölkt.“
„Ja, er stieg gelb glühend zur Erde hinab, schoss über den Himmel und dann … Ihr spürt es selbst sicherlich genauso, eine solch göttliche Präsenz kann man nicht missen!“
Natala sparte sich die Entgegnung, dass ihre derzeit einzigen Gefühle Hunger sowie Kälte waren und wollte stattdessen wissen: „Habt ihr zufälligerweise ein Rack virtuelle Relais, das ihr uns verkaufen würdet? Ohne die Ersatzteile sind wir auf dieser Welt gestrandet.“
„Später“, entgegnete der Alte. „Vorerst müsst ihr mit uns auf die Ankunft des Erlösers warten, so, wie es in den alten Schriften aus der Frühzeit der Menschheit steht.“
Stanley knuffte Natala in die Seite und flüsterte dumm grinsend: „Vielleicht hat dieser Erlöser ganz besondere Features, die alle total high machen? Würde vieles erklären.“
„Halt die Klappe, ich möchte ausnahmsweise nicht mit Fackeln aus einem Kaff gejagt werden“, zischte Natala zurück und fügte dann sogleich beunruhigt hinzu: „Hey, wo ist Anaata?“
„Verdammt!“ Stanley sah sich hektisch nach ihrer kleptomanischen Passagierin um, konnte sie jedoch nirgends ausmachen. Nach einigem Suchen deutete er auf den Weg zurück zum Schiff und fügte hinzu: „Da ist sie, die Wahnsinnige hat die Relais geklaut!“ Tatsächlich stand dort die blonde Koreanerin und winkte ihnen mit dem passenden Ersatzteil zu.
Natala und Stanley eilten zu der Kameradin, der Captain fuhr sie an: „Was soll der Scheiss? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst keinen Blödsinn anstellen, während wir hier sind? Schnell, lass uns verschwinden.“
„Eigentlich hast du gesagt, sie solle schweigen und das hat sie getan“, warf Stanley ein, als sich die Schmuggler mit ihrer Diebesbeute auf den Rückweg machten.
Kaum waren sie ausser Hörweite der Dorfbewohner, brach Anaata in unkontrolliertes Kichern aus. „Leute, Leute, Leute – habt ihr gewusst, wie lecker der Schnee hier schmeckt?“
„Was?“, erkundigte sich Stanley und versuchte, in der hereinbrechenden Dunkelheit die Pupillen der anderen zu sehen. „Natala, ich glaube, sie ist high! Vermutlich ist die ganze verdammte Siedlung auf Drogen!“
„High? Wie sollte sie …?“, begann der Captain, nur um von Anaata unterbrochen zu werden. „Ich hatte Durst und habe Schnee gegessen! Musst du auch mal probieren.“
Plötzlich dämmerte es Stanley. „Unsere Fracht – wir haben den Feenstaub verloren, als wir abgestürzt sind und das brennende Treibwerk war der Stern, den die Leute zu sehen glaubten …“
Natala starrte ihre Kameraden mit offenem Mund an: „Das heisst dann wohl, wir sind die Erlöser!“
„Ich glaube, es ist besser, wir verschwinden von hier, bevor uns jemand sucht, weil wir gestohlen oder eine Prophezeiung erfüllt haben.“
Mit einem Rumpeln hob der alte Frachter von der Oberfläche der Randwelt ab, was Stanley zum Anlass nahm, sich entspannt zurückzulehnen. „Wieder einen Beinahe-Absturz überstanden und sogar noch einen Tannenbaum gefällt.“
„Diesmal habt ihr es echt auf die Spitze getrieben mit der ganzen Erlöser-Sache“, lachte Dan, der nun wesentlich entspannter als bei ihrer dramatischen Landung die Steuerung umfasste. Natala war nicht ganz so glücklich wie ihre Kameraden, sie wusste, wie wütend ihr Kunde sein würde, weil sie die Ladung verloren hatten. Noch einen Todfeind konnten sie nun wirklich zuallerletzt gebrauchen. Bevor sie Gelegenheit bekam, ihre Bedenken zu äussern, drängte sich Anaata an ihr vorbei und gestikulierte vage auf einige Lichter unter ihnen: „Ist das dort das Dorf von vorhin?“
„Ja“, setzte Dan an, kam aber nicht weiter, denn eilig öffnete die Diebin eines der Brückenfenster, kramte eine Leuchtpistole aus einem Notfallschränkchen und feuerte mehrere gelb glühende Leuchtspurgeschosse in den Himmel.
„Bist du wahnsinnig geworden?“, fuhr Dan sie über das Rauschen des eisigen Windes an und bremste das Schiff ab, sodass sie wieder einigermassen atmen konnten. Sie ignorierte ihn, tippte auf die Taste der Aussenlautsprecher und donnerte mit der tiefsten Stimme ihres Repertoires: „Sagt Gott zu mir, ihr kleinen Wichte!“ Damit schloss sie das Fenster wieder, wandte sich um und huschte feixend von der Brücke. Für einen Moment herrschte verwirrtes Schweigen, das Dan schliesslich unterbrach, als er das Schiff erneut aufsteigen liess: „Sagt mal … könnte es sein, dass sie noch high ist?“
„Offenbar“, kommentierte Stanley trocken. „Wenigstens eine, die etwas von dieser Fracht hatte. Ich hoffe stark, wir müssen sie jetzt nicht jeden Mittwinter auf den Tannenbaum setzen und anbeten.“
Sarah L. R. Schneiter
Sarah L. R. Schneiter ist eine bekennende Wortliebhaberin mit kaum zu stillender Neugier. Sie interessiert sich für Kunst genauso wie für Wissenschaft und Technik und ist der Überzeugung, dass diese Welt zu spannend und unterhaltsam ist, um sich zu langweilen. Nebst ihrem ernsthaften Lese- und Videospiel-Problem und ihrem manchmal etwas schrägen Humor ist Sarah vor allem für ihren Kaffeekonsum bekannt. Die Wahlzürcherin studiert unter anderem Kunstgeschichte und verbringt einen erstaunlich grossen Teil ihrer Frei- und Arbeitszeit in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Sarah schreibt bereits seit ihrer Jugend, ihre Texte sind vorwiegend Kurzgeschichten sowie längere Geschichten im Genre Science Fiction und Essays. Einige kürzere Texte von ihr sind in verschiedenen Publikationen erschienen. Zudem betreibt sie zusammen mit ihrer besten Freundin seit August 2012 die Seite „Clue Writing“, auf der wöchentlich Kurzgeschichten sowie Podcast-Episoden erscheinen. Diese Geschichten müssen jeweils fünf Stichworte enthalten und an einem vorgegeben Handlungsort spielen. So sind auf der Seite bereits weit über dreihundert Geschichten veröffentlicht worden, die jederzeit abgerufen und gelesen werden können.
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Irgendwo hier versteckt sich der Nukleus eines lockigen Canis
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