10. Türchen

von | 10.12.2014 | #litkalender, Kreativlabor

Wege

Seit ich denken kann, war Musik in meinem Kopf.
Die ganze Welt um mich herum sang und ich sang mit.
Laut und voller Inbrunst.
Manchmal leise und allein.
Ich sang zu Liedern, zur Musik, zu den Geräuschen um mich herum oder einfach so.
Bis sie eines Tages kamen und sagten: „Du kannst nicht singen!“
Oh, ich versuchte es! Weiter und weiter.
Und wieder kamen sie und sagten: „Es tut uns Leid, aber Du kannst es nicht, Du hast einfach kein Talent!“
Sie wollten mich immer nur beschützen, keine Frage, wollten mir keine Illusionen machen und meine falschen Hoffnungen im Keim ersticken, auf dass ich etwas Anderes fände:
„Was willst Du einmal werden, wenn Du groß bist? Oh, das geht nicht: Dafür bist Du zu groß, zu klein, zu dick (zu dünn war ich nie!). Das ist eine Chance von 1 zu 1 Million. Das schafft kaum jemand in 100 Jahren vielleicht einer. Einer aus dem ganzen Land vielleicht – denkst Du wirklich, das könntest Du sein? Dafür fehlt Dir das Talent, das Geschick, die Beharrlichkeit, die Disziplin. Es tut uns Leid.“
Und so hörte ich auf zu singen und so hörte ich auf zu träumen.
Und ich versuchte, aus meinem Leben wenigstens etwas zu machen.
Und ging hinaus in die Welt, auf einem Weg, den ich gehen konnte.
Und erkannte eines Tages, dass all die anderen Menschen nach anderen Regeln spielten: Die Welt war voller Menschen, die etwas nicht konnten – und es dennoch taten.
Zum Verzweifeln, zum Verrücktwerden schlecht manchmal. Aber sie taten es.
Und sie waren so froh.
Und sie waren so frei.
Und jedes Scheitern war voller Leidenschaft.
Und nicht alle versagten: Manche lernten es.
Und Manche gingen sogar erfolgreich durchs Leben, indem sie einfach vorgaben, etwas zu können. Dabei konnten sie noch weniger als ich.
Dann eines Tages stellten sie mir die Frage: „Bist Du glücklich?“
Die Antwort war klar: „Nein!“
Denn ich hatte stets einen Weg gewählt, von dem ich dachte, er würde meinen Fähigkeiten entsprechen. Nie habe ich es gewagt, mir ein Ziel zu setzten, auf das ich hinarbeiten kann.
Nie mir eine Aufgabe gesucht, in die ich hineinwachsen kann.
Habe nie einen großen Sieg errungen, weil ich stets nur das tat, was ich konnte.
Wofür ich Talent hatte.
Für das ich nicht zu dies oder zu das war.
Jetzt sitze ich hier und frage mich, was ich hätte schaffen können, wenn ich nur den Mut gehabt hätte. Oder wenn sie mich nur ein paar Jahre hätten weitersingen lassen.
Kann man all dies nachholen? All diese Jahre voller Selbstzweifel? In denen man hingenommen hat, was einem voller Liebe und Sorge gesagt wurde?
Ich kann immer noch nicht singen, nicht nach konventionellen Maßstäben. Aber Eines weiß ich jetzt: Das heißt nicht, dass ich es nicht tun darf.
Ich schließe die Augen und blende die Welt um mich herum aus.
Und horche in mich hinein. Und da, ganz tief in meiner Seele spielt immer noch eine leise Melodie.
Ich lächele und beginne, sie zu summen.

Dezemberabend in der Stadt

Er: „Schau, wir steh`n im Lichtermeer:
Häuser, Läden, Menschenmassen,
Lichterflut in allen Gassen!
Ich liebe Dich so sehr!“
Sie: „Wir steh`n hier unten, oben Sterne,
leuchten, funkeln aus der Ferne,
schauen auf uns nieder…“
Er: „Hörst Du die Weihnachtslieder?
Siehst Du die Menschen überall?
Den warmen Schein der Lichter,
die glücklichen Gesichter?“
Sie: „Kein Frieden: Glück im freien Fall!
All dies Eilen, Hasten, Laufen!“
Er: „All die Menschen, all das Lachen!“
Sie: „Keine Ruhe, nur noch kaufen!
Verschulden sich für Sachen…“
Er: „Was bist Du denn so zynisch?“
Sie: „Das ist ja wieder typisch!
Was ist Dein Problem mit mir?“
Er: „Das sag ich Dir: Wir stehen hier,
doch Du schaust zu den Sternen rauf…“
Sie: „… und wünsch mich manchmal weg…“
Er: „Mit Dir hat`s manchmal keinen Zweck!
Hör doch mal damit auf!
Liebste: Deine Augen sind die schönsten Sterne!
Dein Lächeln ist mein Weihnachtslied!
Doch Du starrst weiter in die Ferne,
übersiehst das Glück, das HIER geschieht!“
Sie: „Ach Du!
Küß mich, komm her:
Ertrink mit mir im Lichtermeer!“

Über die Autorin:
Auf Mollys Blog vonderuniandenherd.wordpress.com geht es manchmal ernst, manchmal sarkastisch, meistens aber lustig zu! Über Besuch würde sie sich ganz sicher freuen!

Bild: Lara

Bücherstadt Magazin

Bücherstadt Magazin

Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

6 Kommentare

  1. Avatar

    Danke – Segen….
    M.M.

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    • Avatar

      Dir auch, liebe Monika-Maria! 🙂

      Antworten
  2. Avatar

    Zu der heutigen Geschichte fällt mir ein Lied aus meiner JUgendzeit ein, das gut zum Thema passt :
    „Mich brennt´s in meinen Reiseschuh´n, fort mit der Zeit zu schreiten……………

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